„Politik muss Gegentrend herbeiführen“
Das Konsumverhalten der Österreicher ist nach der Inflation und in der Wirtschaftskrise im Wandel. Was das bedeutet, hat STEFAN NIMMERVOLL den Obmann des Landesverbandes für bäuerliche Direktvermarkter Niederösterreich JOHANN HÖFINGER gefragt.
Wie sieht die Lage bei der Direktvermarktung aktuell aus?
Durch Corona hat sich ein Hoch ergeben. Dann ist die Teuerung gekommen. Die Absätze haben sich wieder normalisiert. Produkte, die leicht austauschbar sind, werden jetzt beim Diskonter gekauft. Zum Beispiel unverarbeitetes Gemüse oder Obst. Bei Produkten, die verarbeitet und in der Qualität nur am Bauernhof erhältlich sind, haben wir Stabilität und teils Steigerungen drinnen.
Ist es plötzlich hip, zum Diskonter zu gehen und nicht mehr zum Bauern ums Eck?
Das kann man so nicht sagen. Wir haben viele treue Stammkunden, die die Regionalität, ihren Erzeuger und seine Produkte schätzen. Aber wir merken insgesamt eine verhaltene Kauflust.
Wie viele der Neueinsteiger aus der Hochphase haben mittlerweile wieder das Handtuch geworfen?
Es ist das eingetreten, was ich prophezeit habe: All jene, die gemeint haben, Direktvermarktung ein wenig nebenbei machen zu können, haben nie wirklich Erfolg gehabt. Sie wollten auf den Zug aufspringen und ohne Anstrengung mitfahren. Direktvermarkung bedeutet aber immer enormen Aufwand und großes Engagement.
Wie sehr hat die aktuelle Situation damit zu tun, dass die Leute tatsächlich kein Geld haben und wie viel dabei ist Psychologie?
Die allgemeine Stimmungslage schlägt sich auf jeden Einzelnen nieder. Man wird vorsichtiger. Wir wissen aber über die Nationalbank, dass viel Geld im Privatvermögen ist. Es gibt aber auch Menschen, die wirklich jeden Cent umdrehen müssen. Bei Familien mit Kindern und einem geringen Einkommen, ist es verständlich, dass man wirklich sorgsam haushalten muss.
Die Staatskassen sind leer. Werden die Konsumenten das in letzter Konsequenz auch bei ihrer Kaufkraft spüren und zu billigen Produkten, vielleicht aus dem Ausland, greifen?
Es ist nur vermeintlich von Vorteil, billig zu kaufen, weil es um die Stabilisierung der eigenen Wirtschaft geht. Wir leben alle gemeinsam in einer Kreislaufwirtschaft, in der durch ein Produkt vor- und nachgelagerte Arbeitsplätze erhalten werden.
Was muss eine neue Regierung tun, damit das wirtschaftliche Umfeld stabilisiert wird und die Menschen wieder Lust am Konsumieren haben?
Es muss das allgemeine Stimmungsbild verbessert werden. Die Politik muss Sicherheit geben und klare Vorgaben machen, was in Zukunft unsere Ziele und unsere Visionen sind und wie der Pfad dorthin führt. Ich denke, wenn man sehr gezielt darüber nachdenkt, wie man seinen Staatshaushalt ganz neu strukturiert, dann haben wir gute Chancen, das in Kürze zu schaffen. Denn wir haben eine wirtschaftliche Leistungskraft und eine Stärke, die man gut politisch übersetzen kann.
In den Nachrichten hören wir momentan nur über Kriege, Konkurse und Katastrophen. Keine guten Aussichten für eine Aufhellung der Stimmung.
Momentan scheint es nicht so. Gerade daher ist es wichtig, den Menschen wieder Perspektiven und Hoffnung zu geben. Da sind die Wirtschaft und die Politik, gesellschaftlich gefragt, einen Gegentrend herbeizuführen.
Aktuell wird über Mercosur gestritten. Muss sich die Landwirtschaft tatsächlich so sehr vor dem Freihandelsabkommen fürchten?
Von uns verlangt die Gesellschaft, nachhaltig, tier-, umwelt- und artengerecht zu produzieren. Mercosur hat das nicht ausreichend berücksichtigt. Mit dem Abkommen würde ein Teil dessen einfach ausgehebelt werden. Es kann nicht sein, dass man das auf dem Altar des kompletten Freihandels einfach opfert. Ich verstehe, dass die Industrie diesen Austausch möchte. Aber, wenn dann bitte mit den Spielregeln und den Maßstäben, die man auch bei uns anlegt. Sonst können wir diesen Wettbewerb nicht gewinnen.
Wird eine neue Bundesregierung bei ihrem Nein bleiben?
Was eine neue Bundesregierung bringt, kann ich nicht voraussagen. Was ich weiß, ist, dass es einen Parlamentsbeschluss mit großen Mehrheiten gibt, dass Mercosur in Österreich nicht angenommen wird. Das ist ein Gesetzesbeschluss, der nach wie vor gilt, auch bei einer neuen Regierung.
Ist es in dem aktuellen Umfeld mit dem Trend in Richtung Sparsamkeit überhaupt sinnvoll, über einen Einstieg in die Direktvermarktung nachzudenken?
Wie bei jeder neuen Betriebssparte sollte der Einstieg gut durchdacht sein. Die erste Frage, wenn ein Interessierter zu mir kommt, ist nicht: „Erzeugst Du ein gutes, geschmackvolles Produkt?“. Das setze ich voraus. Sondern „Magst Du Menschen?“. Du musst mit Deinen Kunden gut umgehen können und wollen. Du wirst tagtäglich mit Menschen zu tun haben. Jeder, der diese Leidenschaft mitbringt, kann sich in der Direktvermarktung einen Erfolg sehen.
Die mögliche Ausrüstung von elektronischer Kassa bis zu Zutrittssystemen ist mannigfaltig. Was braucht es alles, um erfolgreich zu sein?
Wir empfehlen, einmal klein zu beginnen. Der klassische Weg ist ab Hof, Aug in Auge mit dem Kunden. Ich biete mein Produkt in einem Hofladen zu verschiedenen Uhrzeiten an. Das steigert sich dann. Manche wählen in Folge neue Formen, wo sie in 24 Stunden-Läden oder in Automatenform ihre Produkte anbieten. In jedem Fall muss der Standort sorgfältig ausgewählt sein. Nur, weil viele Menschen da sind, bedeutet es nicht, dass man automatisch viele Kunden hat. Sie müssen auch eine gewisse Kauflaune verspüren. Da ist ein wesentlicher Unterschied. An Verkehrsknotenpunkten sind die Menschen oft in Hektik und nehmen sich keine Zeit.
Wie viel Geld muss man ins Marketing investieren?
Gezieltes Marketing ist wichtig, damit ich meine Kundengruppe erwische. Aber ich muss auch alles, was ich verkaufe, auch mit der Familie oder mit Fremdarbeitskräften produzieren können. Und manche Rohstoffe sind nur begrenzt vorhanden und haben eine lange Vorlaufzeit; denken wir an Fleischprodukte oder ähnliches.
Wie kann man sich vom Mitbewerb abheben?
Durch seine eigene Qualität und durch die eigene Kreativität. Wir haben zwei erfolgreiche Schienen: Das eine sind jene, wo die Leute teilweise schon seit Jahrzehnten auf die Produkte vertrauen und das andere jene, die auf Innovationen setzen.
Wenn man den Peak von Corona und die Depression danach außen vor lässt: Wie wird sich die Direktvermarktung mittelfristig entwickeln?
Die Direktvermarktung wird innovativ sein müssen. Sie wird sich dem Trend der veränderten Ernährungsweisen anpassen müssen. Da sehe ich große Chancen. Im fleischlosen Bereich ist noch ein großes Potential, um innovative Produkte auf den Markt zu bringen.
Johann Höfinger (55) führt in Ollern im Bezirk Tulln einen Bauernhof mit Direktvermarktung. Die Spezialität der Familie sind diverse Eierliköre. Höfinger war seit 2003 Bundesrat und ist seit 2006 Abgeordneter zum Nationalrat für die ÖVP. Von 2008 bis 2014 war er Bürgermeister von Sieghartskirchen. Seit 2009 ist er Obmann des Landesverbandes für bäuerliche Direktvermarkter NÖ.
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