Hinterfragen, was ethisch vertretbar ist
Bei der Rindezucht Austria folgen der Kärntner SEBASTIAN AUERNIG und der Tiroler THOMAS SCHWEIGL als Obmann und Stellvertreter auf Stefan Lindner. STEFAN NIMMERVOLL hat die beiden kennengelernt.
Sie haben erst vor kurzem den World Simmental Congress in Wien organisiert und sind Präsident der Weltorganisation. Ist es eine große Umstellung, jetzt alle Rinderrassen vertreten zu sollen?
Auering: Nein. Ich bin seit zwei Jahren in Kärnten Obmann der CaRINDthia. Dort haben wir eine Zusammenführung von Fleckvieh- und Holstein-Verband durchgeführt und sind damit ein gemischtrassiger Verband. Da habe ich viel dazugelernt, wie wichtig es ist, dass wir die Rinderzucht rassenübergreifend vertreten.
Wie gelingt es, dass das Fleckvieh die anderen Rassen im Verband nicht erdrückt?
Schweigl: Viehzucht ist emotional behaftet. Über Rassenfragen soll man auch diskutieren können. In der Dachorganisation geht es aber um Themen, die wir im Sinne der Gemeinsamkeit zu lösen haben. Da ist es egal, welcher Farbschattierung eine Herde angehört.
Wie sinnvoll ist es, in diesem Zusammenhang in vergleichsweise kleinen Landes- und Rassenverbänden organisiert zu sein?
Auernig: Aufgrund der Kleinheit der österreichischen Betriebe sind auch kleinere Strukturen notwendig. Mit den Rassearbeitsgemeinschaften, den Landesverbänden und dem Dach der Rinderzucht Austria gelingt es sehr gut, diese Strukturen so zusammenzufassen, dass man gemeinsam als eine Organisation auftreten kann.
Auch wenn sie Obmann und Stellvertreter sind, soll es sich in der Praxis um eine Doppelspitze handeln?
Auernig: Das Aufgabengebiet des Verbandes ist inzwischen sehr groß. Einer allein schafft das kaum.
Schweigl: In den letzten Jahren sind viele neue Themenbereiche dazugekommen, weil wir Dinge proaktiv angegangen sind. Die Tierzucht im innersten Kreis und ihre Aufgaben sind größer geworden.
In anderen Ländern liegt die Weiterentwicklung der Genetik stark in der Hand großer Konzerne. In Österreich sind tausende kleine Bauernhöfe in die Zuchtarbeit integriert. Wie können sich diese gegen internationale Forschungsabteilungen behaupten?
Schweigl: Ich war erst vor kurzem beim Braunvieh-Weltkongress in Amerika. Bei Eliteauktionen kaufen Genetikfirmen die wertvollsten Zuchttiere zusammen. Dort wird querfeldein, auch auf der väterlichen Seite, eingekreuzt. Da kommen Methoden wie in der Pflanzenzucht und im Obstbau zum Einsatz. Das ist natürlich sehr kommerziell gesteuert. Wir haben aber den Vorteil, dass wir Zucht-, Besamung und Vermarktung in einer Hand haben. Damit haben die Züchterfamilien viel Gestaltungsspielraum.
Auernig: International braucht es für die Weiterentwicklung der Genetik viel Kapital. Unsere Aufgabe als Rinderzucht Austria ist es, diese Forschung in einer starken Verbindung mit den Universitäten zu betreiben und so Fortschritte zu erreichen. Sonst würden wir als kleine, private Züchter völlig von dieser Entwicklung überrollt.
Neue Technologien kosten in der Verbandsarbeit auch Geld. Inwieweit sind den Bauern bereit, die höhere Kosten mitzutragen?
Auernig: Im Bereich der Forschung und Entwicklung muss man immer seiner Zeit voraus sein. Das macht es für uns umso schwieriger die Wichtigkeit einzelner Forschungsprojekte zu unseren Bauern zu kommunizieren, da Ergebnisse erst Jahre später für den Landwirt in der täglichen Arbeit sichtbar werden. Der Diskussion rund um die notwendigen Eigenmittel für Forschungsprojekte ist es natürlich nicht dienlich. Entscheidend ist aber, dass wir durch unsere Projekte eine sehr gute finanzielle Unterstützung durch Förderungen für die Weiterentwicklung der österreichischen Rinderzucht auslösen.
Wie wirkt sich denn der enorme Rückgang der Milchviehbetriebe aus?
Schweigl: Die größer werdenden Betriebe haben immer mehr Technik im Einsatz. Da geht es dann auch um die Daten und wer der Nutznießer davon ist. Es gibt es Bestrebungen von dem ein oder anderen Unternehmen, Daten zu sammeln und weiterzuverwenden. Mit unseren LKVs wollen wir der Datenanwalt der Bauern sein und klarstellen, dass diese nicht irgendwo landen und dass die Systeme in den Betrieben, etwa durch Cyberkriminalität, nicht mehr funktionieren. Auf der anderen Seite gibt es Bauern, die mit der Fülle der digitalen Angebote überfordert sind und dieses breite Angebot auch hinterfragen. Dieser Bandbreite innerhalb unserer Struktur müssen wir abbilden.
Die Klimabilanz wird zu einer entscheidenden Frage für die Rechtfertigung der Rinderhaltung. Da geht es um Glaubensfragen zwischen Hochleistungsbetrieben mit viel Kraftfuttereinsatz und extensiver, grünlandbasierter Haltung auf der Weide. Wer hat recht?
Auernig: Die Studien lassen viel Interpretationsspielraum. Da kann man sich jene herausholen, die für einen selber positiv sind. Man muss jedenfalls die Kirche im Dorf lassen. Die Klimabelastung wird absolut überbewertet. Dennoch stellen wir uns der Diskussion und wollen züchterische Potentiale heben. In Österreich ist es dabei wichtig, dass wir, bei einem gewissen Leistungspotential, gesunde Tiere haben, die unser Grünland bestens verwerten.
Muss es zu züchterischen Anpassungen zu Gunsten der Grundfutterverwertung kommen?
Auernig: Es muss uns gelingen, Parameter zu entwickeln, mit denen wir das berücksichtigen können. Wichtig ist es, dass die Tiere leistungsgerecht versorgt sind und wir dem Standort entsprechend wirtschaften können.
Schweigl: Wir haben Projekte wie NEU.rind, wo wir über die Umweltwirkung einzelner Maßnahmen nachdenken und ein Benchmarking für Umweltwirkung entwickeln möchten. Für die Zukunft wollen wir da Daten sammeln und Prozesse entwickeln. Es braucht züchterisch aber viele Jahre, um solche Dinge zu ändern.
Einerseits wird die züchterische Bearbeitung auf intensiven Betrieben immer wichtiger. Andererseits hört man auch davon, dass Mutterkuhherden, die sehr extensiv gehalten werden und kaum Kontakt zum Bauern haben, geradezu „verwildern“. Wie kann denn die Zucht auf diese Entwicklung reagieren?
Auernig: Ich sehe das nicht ganz so tragisch. In Kärnten stellen wir fest, dass auch die Mutterkühe eine starke Bindung an die Bauern haben. Wir werden aber in der Beurteilung Aspekte des Charakters stärker berücksichtigen müssen. Die große Frage ist immer die Qualität der Daten, weil dieser nicht direkt messbar ist.
Ein wesentliches Schlagwort ist „Tiergesundheit“. Wer legt fest, was ein gutes Tier ist? Und wie kann man das in einer Zuchtwertschätzung korrekt abbilden?
Auernig: Ein Tier ist dann gesund, wenn es in der Lage ist, über einen langen Zeitraum eine gute Leistung zu bringen. Dass wir im Durchschnitt vier Kälber pro Kuh haben, zeigt, dass diese gesund sind, sonst würde das nicht funktionieren. Am wesentlichsten ist dabei, trotz aller Unterstützung durch Daten, immer noch die persönliche Beurteilung durch den Bauern.
Welche Bedeutung werden moderne Methoden in der Zucht in Österreich zukünftig haben?
Schweigl: Je nach Rasse und Innovationsfreudigkeit der Betriebe wird die genomische Selektion schon sehr intensiv genutzt. Bei den kleineren Rassenblöcken und bei der Generhaltung steht eine Umstellung der Abstammungsprüfung über SNP Typisierung bevor und auch dort möchten wir ein Selektionstool zur Verfügung stellen. Auch der Embryotransfer ist schon über viele Jahre etabliert. In Amerika reden sie von In Vitro-Fertilisation. Die Frage ist, ob wir das wollen und brauchen und ob es ethisch vertretbar ist. Es wird aber sicher auch bei uns Betriebe geben, die das ausprobieren wollen. Wir sehen das jedenfalls kritisch, verschließen uns aber nicht.
Auernig: Wir wissen, dass sehr viel möglich ist. Es wird aber auch unsere Aufgabe sein, zu erkennen, was wir nützen können, aber auch Dinge, die die Gesellschaft nicht möchte und die die Zucht in Bauernhand gefährden würden, bei uns nicht zur Anwendung kommen zu lassen. Bei Themen wie der Genom-Editierung müssen wir sehr wachsam sein, auch wenn sich wirtschaftlich ein großer Vorteil daraus ergeben könnte.
Eine wichtige Einnahmequelle für die Züchter ist der Export von Vieh. Wie sehr hat der unter den jüngsten Irrungen der Weltgeschichte gelitten?
Auernig: Gewisse Destinationen sind zum Stillstand gekommen. Russland ist vom Tisch. Auch die Ukraine ist schwierig. Und die Nachfrage nach Zuchtkalbinnen nach Spanien ist derzeit nicht vorhanden, weil man dort das Futter aus der Ukraine nicht bekommt. Wir merken aber reges Interesse an Zuchttieren aus Österreich im zentralasiatischen Raum und der Türkei.
Gelingt es, einem durchschnittlichen Mitbürger klarzumachen, warum es kein Problem ist, ein lebendes Rind im LKW nach Aserbaidschan zu führen?
Schweigl: Selbst einer Landwirtsfamilie ist das schwer zu erklären. Wir haben einige, die kein Tier in Drittländer verkaufen wollen. Das müssen wir auch ganz selbstkritisch sagen. In den Zieldestinationen kommen die Tiere aber auf top-geführte Betriebe mit Menschen, die Landwirtschaft aufbauen und dort für Versorgungssicherheit sorgen wollen. Deshalb versuchen wir nicht nur Tiere dorthin zu exportieren, sondern auch Wissen zu transferieren und Bildungsprogramme zu etablieren.
Die Branche beruft sich immer auf strenge Transportstandards der EU. Hinter der türkischen Grenze sind diese aber nur mehr schwer zu kontrollieren, oder?
Schweigl: Alles, was wir machen, muss herzeigbar sein. Dafür machen wir eine gute Dokumentation mit GPS, Temperaturkontrollen und all diesen Dingen. Parallel dazu suchen wir nach Absatzkanälen in unserem direkten Umfeld, zum Beispiel im süddeutschen oder oberitalienischen Raum, wo man nicht so lange Transportwege hat.
Wäre es nicht einfacher, Sperma und Embryonen statt lebende Tiere zu exportieren?
Schweigl: Das ist ein stark umkämpfter Markt, auf dem sich die ganze Welt trifft. Große Player bieten dort zu Dumpingpreisen an. Auch wir versuchen mit unserer Genetik anzudocken und Sperma zu liefern.
Auernig: Bevor das möglich ist, müssen wir dort aber Bestände aufbauen. In diesen Ländern steht größtenteils keine Basis zur Verfügung; auch nicht, um Sperma und Embryonen einsetzen zu können.
www.rinderzucht.at
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