„Zu wenig Aufregung beim 9 Cent-Semmerl“
Anfang Dezember ging die Meldung durch die Medien, dass Österreichs Bäcker um die Versorgung mit Getreide bangen. STEFAN NIMMERVOLL hat beim Obmann der Vereinigung der Backbranche, MICHAEL BRUCKNER, nachgefragt, was hinter der Warnung steckt.
Sie kennen die Backbranche in Österreich wie ihre Westentasche. Wie kritisch ist die Lage tatsächlich?
Mittlerweile wieder entspannt. Davor haben einige unserer Mitglieder ihre Mehlkontrakte nicht wie üblich bis Ende September abschließen können, weil die Mühlen ihr Getreide nicht bekommen haben. Weder Mengen noch Preise konnten zugesagt werden. Damit konnten wir nicht in Verhandlungen mit dem Lebensmittelhandel gehen. Deshalb habe ich Bundesministerin Köstinger angeschrieben, dass wir nicht ausreichend Ware bekommen, aber gleichzeitig viel exportiert wird. Es war nicht klar, ob der österreichische Weizen nicht im Frühjahr in Bologna liegt, wir aber keinen kaufen können. Aufgrund der medialen Wellen hat der Getreidehandel den Mühlen aber wieder Ware angeboten, wenn auch zu exorbitant hohen Preisen.
Es stand ja sogar die Forderung im Raum, die Ausfuhr von Brotgetreide einzuschränken.
Wir als Verband haben nie Exportstopps angedacht. Das geht auch rechtlich gar nicht. Wir haben nur darauf hingewiesen, dass wir heimisches Getreide zu marktkonformen Preisen brauchen, wenn die Gesellschaft will, dass wir solches verarbeiten.
Warum ist die Situation so prekär geworden?
Die Qualitäten beim Weizen sind bei uns heuer sehr gut. Im Ausland, speziell in Frankreich, war das nicht der Fall. Dort gibt es wesentlich weniger mahlfähiges Getreide als normal. Viele Verarbeiter, vor allem aus Italien, orientieren sich daher nach Österreich. Wir haben aber selber 12 Prozent weniger Weizen geerntet. Das führt den Handel in Versuchung, den Markt weiter zu verengen. Das möchte ich gar niemandem verübeln; es ist das gute Recht in einer Marktwirtschaft, das Getreide so teuer wie möglich zu verkaufen. Aber es muss den heimischen Mühlen zumindest möglich sein, dieses zu kaufen, wenn sie es brauchen.
Die Produktion für den italienischen Markt war aber immer schon die Königsklasse des Weizenanbaus. Sind die Italiener vielleicht einfach zahlungskräftigere Kunden?
Nein. Wir reden da von gänzlich unterschiedlichen Mehlqualitäten. In Italien wird österreichischer Premiumweizen zum Aufmischen von Partien mit schwachem Proteingehalt hergenommen, um auf eine vernünftige Gesamtcharge zu kommen. Mit 16 oder 17 Prozent Eiweiß können wir keine Backwaren herstellen, die den Qualitätswünschen der österreichischen Konsumenten entsprechen.
Also produzieren wir in Österreich etwas, das die Bäcker so gar nicht verwenden können?
Wir müssten uns darüber unterhalten, was es bringt die Entlohnung für die Bauern nur vom Proteingehalt abhängig zu machen. Wir müssen dann entweder ganz schwachen Mahlweizen dazu mischen oder eiweißschwächende Proteasen zusetzen. Das ist aber widersinnig: Der Landwirt gibt Geld für Dünger aus, damit er viel Kleber bekommt. Wir geben Geld aus, damit wir ihn wieder wegbekommen. Viel besser wäre es, auch andere Parameter der Backqualität zur Beurteilung herzunehmen.
Mit Premiumweizen lässt sich aber Geld verdienen.
Über ihn wird der Preis gemacht, er zieht die anderen Segmente mit. Für Österreich ist aber der Qualitätsweizen entscheidend. Hier brauchen wir faire Preise in beide Richtungen. Das heißt aber nicht, dass wir den Bauern irgendetwas wegnehmen wollen. Es geht uns um die Schwerpunktsetzung in Richtung Backfähigkeit.
Wie gestaltet sich das Mengengefüge in der heimischen Backindustrie?
Die Branche kauft zu mindestens 95 Prozent in Österreich ein. In Vorarlberg gibt es einige Bäcker, für die es aus Transportgründen keinen Sinn macht, das Getreide aus dem Marchfeld quer durch Österreich zu führen. Die und deren Mühlen kaufen Getreide im Bodenseegebiet ein.
Behauptet wird aber von der Landwirtschaftskammer etwas anderes.
Dann ist sie nicht richtig informiert. Importiert wird Ware für Bioethanol und Stärke, zum Teil auch für Kekse und Waffeln, für die proteinschwache Mehle benötigt werden. Für Backzwecke gibt es keinen Grund, ausländischen Weizen zu kaufen.
Ein zweiter Kritikpunkt ist, dass man sich bei Preiserhöhungen auf den landwirtschaftlichen Rohstoff beruft. Dessen Kostenanteil liegt bei einer Semmel aber im niedrigen einstelligen Prozentbereich.
Die Rechnungen der Kammer mit vier Prozent mögen bei 40 Cent-Semmeln aus der handwerklichen Bäckerei stimmen. Wenn die Semmel im Supermarkt nur mehr 15 Cent inklusive Steuer kostet und der Handel das meiste davon verdient, machen die Rohstoffkosten prozentuell aber wesentlich mehr aus. Und 85 Prozent aller Backwaren gehen über den Lebensmitteleinzelhandel. Wenn sich da die Mehlpreise für heuer verdoppelt haben, kann das keine seriöse Kostenrechnung negieren.
Auch die Großbäcker sind letztlich davon abhängig, was der Handel zahlt. Wäre da nicht ein Schulterschluss zwischen Verarbeitern und Bauern vernünftiger?
Damit rennen sie bei uns offene Türen ein. Wir sitzen alle im gleichen Boot. Mich wundert, dass es so wenig Aufregung innerhalb der Landwirtschaft gibt, wenn eine Kette um 19 Cent einen Bio-Kornspitz oder um 9 Cent eine Aktions-Semmel verkauft. Bei der Milch fahren bei so etwas längst die Traktoren auf. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, Lebensmitteln und damit auch Backwaren Wertschätzung zu geben und einen vernünftigen Preis, von dem alle entlang der Wertschöpfungskette leben können.
Hohe Vorkosten belasten auch den Ackerbau. Dünger- und Treibstoffpreise steigen in lichte Höhen. Billiger kann das Getreide angesichts dieser Vorzeichen also kaum werden, wenn auch die Landwirtschaft ihre Rechnungen bezahlen soll. Deshalb haben viele Bauern ihre Ernte 2022 schon zu hohen Notierungen kontrahiert. Was bedeutet das für die Versorgung im kommenden Jahr?
Der Mehlpreis wird entsprechend hoch sein, wenn auch vielleicht nicht auf dem Rekordniveau wie jetzt. Preise, wie wir sie 2019 und zuvor gehabt haben, werden wir nicht mehr sehen. Bis wir ein Kilo Mehl haben, brauchen wir ja nicht nur das Korn, sondern auch Energie für die Vermahlung, ein Lager und Logistik.
Wäre es angesichts der derzeitigen Situation nicht sinnvoll, direkt mit den Landwirten Verträge abzuschließen, statt am freien Markt einzukaufen?
Das wird auch stärker kommen. Man darf aber nicht vergessen, dass sie auch bei einem Direktkontrakt eine Übernahme- und Lagerstelle und eine Mühle brauchen.
Die Branche begleitet bereits seit Jahren die Diskussion rund um ein AMA-Gütesiegel für Getreide. Die Abstimmung, wer wie viel an Marketingbeiträgen bezahlen soll, gestaltet sich, wie man hört, schwierig. Was kann die Backbranche beitragen, damit es zu einem Österreich-Bonus für die gesamte Wertschöpfungskette kommt?
Gescheitert sind die bisherigen Pläne weniger an der Finanzierung als am Wunsch der AMA einen separaten Getreidekreislauf aufzustellen. Weil es ja auch noch Bio gibt, hätten wir damit drei Systeme gebraucht. Das geht nicht. Wenn man sagt, dass alles Getreide, das in Österreich geerntet wird, automatisch zertifiziert ist, sind wir sofort mit dabei. Dann wird das Getreide für alle um ein paar Cent teurer und der Lebensmittelhandel kann auch nicht mehr ausweichen, wenn er heimische Ware im Regal will. Wo im Export die Herkunft nicht wichtig ist, könnte man sich die Mehrkosten über Exportstützungen wieder zurückholen.
Michael Bruckner ist Bäckermeister und Obmann der Vereinigung der Backbranche, in der Führungskräfte der Branche zusammengeschlossen sind. Er stammt aus einer kleinen Bäckerei in Königstetten im Bezirk Tulln und war zunächst für den Einkauf der Backwaren bei Billa verantwortlich. Seit den 1990-Jahren hat er den Einkaufs- und Dienstleistungsspezialisten „Der Marken-Bäcker“ aufgebaut und bis 2020 geleitet.
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