Von Planungssicherheit keine Rede mehr

Der Verfassungsgerichtshof hat die Übergangsfrist zur Abschaffung von unstrukturierten Vollspaltenbuchten kassiert. Das bedeutet erneut Ungewissheit meint der Obmann des Verbandes Österreichischer Schweinebauern, VÖS, FRANZ RAUSCHER, im Gespräch mit STEFAN NIMMERVOLL.

Die erste Frage, wenn man jemanden trifft, geht nach dem Befinden. Bei den Schweinepreisen in den letzten Monaten müssten Sie mit „Danke, gut!“ antworten.

Ja, in der Schweinhaltung läuft es allgemein wirklich gut, vor allem bei den Ferkeln. Im Jahr 2023 haben wir eine Preisdynamik erlebt, wie wir sie in der Vergangenheit nicht gekannt haben. Die rückläufige Produktion in Österreich, aber auch in weiten Teilen Europas, hat zu dieser Entwicklung geführt. Die Erzeugerpreise sind aber nur eine Seite der Medaille. Die erhöhten Produktionskosten haben auch dazu geführt, dass wenig Rücklagen für wichtige Investitionen gebildet werden konnten.

Dennoch rumort es. Wie sehr hat sie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zu den Vollspaltenböden überrascht?

Doch sehr. Man hat ein Jahr lang verhandelt und wir haben argumentiert, warum wir eine lange Übergangsfrist brauchen. Die Landwirtschaft muss sich vorbereiten können und kann nicht von heute auf morgen Investitionen tätigen. Eine ähnlich lange Übergangsfrist hat man uns ja auch bei der Bewegungsbucht bei den Zuchtsauen zugestanden. Deshalb haben wir geglaubt, dass das so in Ordnung ist. Letztlich ist das Ganze politisch motiviert, weil ein Bundesland Beschwerde eingelegt hat.

Ist es nicht ein bisschen paradox, dass diese ausgerechnet aus dem Burgenland gekommen ist, wo es so wenig Schweinehaltung gibt?

Es scheint so, wie wenn dort das Aus der Schweineproduktion gewünscht ist. Die Landesregierung möchte nur noch Bio. Unsere burgenländischen Kollegen haben Probleme, überhaupt noch Stallungen errichten zu dürfen; sogar im Tierwohlbereich.

Die Politik muss jetzt rasch ein alternatives Datum vorlegen. Bis wann erwarten Sie denn eine Einigung?

Es ist wichtig, dass die ÖVP das in der aktuellen Legislaturperiode mit dem bestehenden Regierungspartner zusammenbringt. Wenn die Wahlen erst im Herbst stattfinden, geht es sich danach zeitlich vielleicht gar nicht mehr aus, rechtzeitig eine Lösung zu finden. Im freien Spiel der Kräfte nach einer Wahl würde daraus außerdem vermutlich wieder ein Politikum werden, was der Sache nicht dient.

Ohne Beschluss würde die Übergangsfrist Mitte 2025 auslaufen. Denkbar?

Überhaupt nicht. Wenn wir bis dahin keine Lösung haben, haben wir ein ernsthaftes Problem. Es ist technisch gar nicht möglich, die Anforderungen so schnell umzusetzen. Ich kann nicht in einem halben Jahr 90 Prozent des österreichischen Schweinebestandes umbauen.

Tierschutzminister Rauch möchte eine Übergangsfrist bis 2030. Sie haben sich bisher in Interviews geziert, ein konkretes Datum zu nennen. Kann ich ihnen eine realistische Einschätzung entlocken?

Nein. Das zu verhandeln, ist Aufgabe der Politik. Die Vertreter des Bauernbundes müssen mit den Grünen vernünftig reden. Warum der Minister da einen Schnellschuss abgegeben hat, weiß ich nicht.

Also braucht die Branche noch mehr Zeit als bis 2030.

Das Thema muss einfach mit Vernunft gelöst werden. Es geht nicht darum, etwas möglichst schnell fertig zu bringen. Die Stallungen sind sehr verschieden, genau wie die Umbaulösungen. Aktuell läuft das Forschungsprogramm IBest, um herauszufinden, wie man das Tierwohl am besten weiterentwickeln kann. Wenn wir diese Ergebnisse nicht einfließen lassen können, tun wir uns schwer. Sonst muss jeder schneller planen und macht vielleicht Fehler.

Die versprochene Planungssicherheit ist jedenfalls wieder nicht gegeben.

Wir wollten mit dem Tierwohl-Paket Ruhe in die oft unsachliche mediale Auseinandersetzung bringen und haben in den Novellierungen des Tierschutzgesetzes und der 1. Tierhaltungsverordnung ein umsetzbares Gesamtpaket für die österreichischen Schweinebauern gesehen. Durch den Entscheid des Verfassungsgerichtshofes kann von der benötigten Planungssicherheit keine Rede mehr sein.

Tierschutzorganisationen bezeichnen die aktuellen Regelungen bereits wieder als Mogelpackung, weil es weithin Teilspaltenböden gibt. Wird also auch nach der Umsetzung keine Ruhe sein?

Eine komplett spaltenfreie Haltung nur auf Stroh wird nicht das Ziel sein können. Dann haben wir keine Schweineproduktion mehr in Österreich. Das muss jedem klar sein.

In der Schweinebranche hat es lange Zeit so gut wie gar keine Investitionen gegeben. Ist das jetzt besser geworden?

Die Investitionstätigkeit ist eine ganz geringe. Das Impulsprogramm des Landwirtschaftsministeriums soll zumindest ein bisschen etwas bewegen. Wir brauchen aber noch höhere Fördersätze, besonders in der Ferkelproduktion.

Haben wir in Zukunft überhaupt noch genügend Ferkel, um das AMA-Gütesiegel-Programm zu bedienen?

Die Ferkelproduktion ist unser größtes Sorgenkind. Wir verlieren jedes Jahr an Betrieben und an Stückzahl. Bei der Umsetzung der Bewegungsbucht bis 2033 fehlt noch mehr als die Hälfte der Betriebe, die noch nicht umgebaut haben. Man weiß nicht, wie diese ticken: Warten sie ab? Werden sie kurzfristig investieren? Werden sie aufhören? Sollten nicht wesentliche Impulse bei den Umbaumaßnahmen gesetzt werden, sehen wir einen dramatischen Rückgang in der Ferkelproduktion. Wir brauchen diese aber, um die Inlandsproduktion aufrecht erhalten zu können. Im Moment haben wir aber noch genügend Ferkel, um das AMA-Gütesiegel abzusichern.

Bekommen wir überhaupt Genehmigungen für die notwendigen Stallbauten?

Wenn wir den Weg Richtung mehr Tierwohl gehen, muss es leichter sein, das umzusetzen. Da muss es auch von oben herab ein Machtwort geben. Die Bezirkshauptmannschaften werden das nicht alleine regeln können. Wenn man mehr Tierwohl will, wird man auch Stallungen mit Außenklimareizen brauchen. Genau da hat man aber Probleme mit der Bevölkerung. Wir werden uns deshalb daran gewöhnen müssen, Entfernungen zu Ortschaften und Siedlungen einzuhalten. Im Ortsgebiet wird es sehr schwierig bis unmöglich sein, in Zukunft überhaupt Tierhaltung zu betreiben.

Wenn ich einen Neubau plane – was muss ich aus Ihrer Sicht unbedingt beachten?

Der Tierwohlsektor funktioniert nur marktorientiert. Wenn ich einen Abnehmer habe, würde ich in diese Richtung investieren. Sonst kann man sich nicht verlassen, dass die um ein Drittel höheren Kosten wieder hereinkommen. Bei den meisten Programmen gibt es aber langfristige Verträge. Wenn ich einen konventionellen Stall baue, würde ich darauf achten, dass ich ihn in einer Folgeinvestition adaptieren kann, um in eine höhere Stufe zu kommen.

Die Handelsketten bieten aktuell 5-Jahres-Verträge an. Kann man sich darauf verlassen, dass die Schweine auch danach abgenommen werden?

Der LEH sagt, er will diesen Sektor ausbauen. Wenn er sich dafür entscheidet, das anzubieten, muss er bestrebt sein, das langfristig zu tun. Er kann es sich aber gesellschaftspolitisch ohnehin nicht leisten, das nach fünf Jahren sterben zu lassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein solches Programm wieder eingestampft wird.

Hält der Absatz der Tierwohl-Programme mit der Erweiterung der Produktion Schritt?

Insgesamt haben wir in allen AMA-Tierwohl-Plus-Programmen 250.000 Schweine pro Jahr. Die einzigen Segmente, die in absoluten Zahlen, trotz generellem Produktionsrückgang, wachsen, sind AMA-Gütesiegel „Mehr Tierwohl – Sehr gut“, sowie Bio. Um den positiven Trend, der sich seit 2018 abzeichnet, fortzusetzen, braucht es aber eine weitere Steigerung der Nachfrage.

Der VÖS hat einen Masterplan zur stufenweisen Weiterentwicklung des AMA-Gütesiegels vorgestellt. Wie weit ist man da in der Umsetzung?

Wir haben gesagt, dass wir bis 2030 diese Million Schweine im Tierwohlsektor haben und die höheren Segmente forcieren wollen. Das ist uns gelungen. Es bewegt sich etwas. Wir brauchen aber auch die konventionelle Haltung, sonst verlieren wir die Eigenversorgung. Wir können uns nicht mit allen Segmenten wegbewegen vom europäischen Markt. Dann sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig.

In Deutschland findet gerade ein richtiggehender Strukturbruch statt. Was verursacht diesen?

Der Schweinebestand ist dort in den letzten zehn Jahren um 25 Prozent zurückgegangen. Zusammengefasst sind stark gestiegene Betriebskosten, eine nachlassende Schweinefleischnachfrage, besonders bei Exporten in Drittstaaten, sowie zunehmende Auflagen und fehlende Planungssicherheit dafür verantwortlich. Die deutsche Politik hat schwerwiegende Fehler, zum Beispiel bei der Umsetzung von Bewegungsbuchten, gemacht, die den Rückgang der deutschen Schweineproduktion nach sich ziehen.

Besteht auch in Österreich die Gefahr eines derartigen Einbruches?

Auch wir sind gerade mitten im Strukturwandel drinnen. Wir haben im Vorjahr wieder rund drei Prozent an Schweinen und in den letzten zwei Jahren 13 Prozent der Ferkelproduktion verloren. Mehr als 400 Betriebe haben 2023 die Schweinehaltung beendet. Das summiert sich. Der Konsum sinkt nicht im selben Ausmaß. Die Eigenversorgung ist also in Gefahr.

Im selben Maß stockt Spanien auf.

Spanien ist das günstigste Produktionsland in ganz Europa. Die werden uns versorgen, wenn wir nachgeben. Eine derartige Landwirtschaft können wir im Tierbereich in Österreich aber nicht wollen. Der Bauern ist nicht mehr Eigentümer, sondern nur mehr Arbeiter auf den Betrieben. Die Industrie ist dort maßgeblich für die Produktion verantwortlich. Mischfutterkonzerne und Schlachthöfe betreiben Stallungen. Es gibt keine Eigenständigkeit mehr, sondern maximal Lohnmast. Das wäre für mich uninteressant.

Franz Rauscher ist Absolvent des Francisco Josephinums in Wieselburg. Er führt in Sitzenberg-Reidling im Bezirk Tulln einen Schweinemastbetrieb im Vollerwerb. Unter anderem produziert er für die Firma Wiesbauer Duroc Schweine in einem Tierwohl-Programm. Rauscher ist Obmann der Erzeugergemeinschaft Gut Streitdorf und seit Mitte 2023 auch des Verbandes Österreichischer Schweinebauern, VÖS.

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