Und dann traust du niemandem mehr…

 
Wenn sich fremde Personen ungebeten Zugang zu Stallungen verschaffen, kann das für betroffene Bauernfamilien erschreckend bis traumatisierend sein. Die ÖVP möchte daher das Strafrecht verschärfen. Das könnte an den Grünen scheitern.
Werner Pail ist ein engagierter Schweinebauer. Der Südsteirer ist Obmann des Vereines „Saugut“, der sich vorgenommen hat das Image des Sektors zu verbessern und die moderne Schweinehaltung realistisch darzustellen. Zugleich macht er sich Gedanken zur Verbesserung der Haltungsbedingungen, probiert viele neue Möglichkeiten auf seinem Betrieb aus, von Teilspalten- bis Auslaufhaltung mit Einstreu, tüftelt an verschiedenen Beschäftigungsmaterialien für seine Tiere von Strohraufen bis Kauspielzeug.
Dennoch – oder gerade deshalb – geriet er 2017 ins Fadenkreuz von Tierrechtsaktivisten. Kurz vor einem lange geplanten „Tag der offenen Stalltür“ veröffentlichte der Verein gegen Tierfabriken, VGT, heimlich aufgenommene Fotos und Videos aus dem Maststall der Familie und veranstaltete in Graz eine Pressekonferenz unter dem Titel „7 Tage, 7 Ställe“, bei der Pail und andere Landwirte namentlich genannt und massiv angegriffen wurden. Ziel der Kampagne war vermutlich ein Verbot von Vollspaltenböden.
Das nächtlich aufgenommene Video war blutig: Es zeigte ein Schwein mit Mastdarmvorfall und erweckte in der Darstellung des VGT den Eindruck, als hätten sich die Bauersleute nicht unverzüglich um das Tier gekümmert. Eine Kontrolle des Amtstierarztes nach einer Anzeige der Organisation habe jedoch keine Beanstandungen ergeben, wie die Landesveterinärdirektion Steiermark bestätigt. … „Wir mussten den Beweis antreten, dass wir alles richtig gemacht haben. Das hinterlässt ein Gefühl, wie wenn man ein Verbrecher wäre“, erinnert sich der Schweinebauer.
Psychisch brach für die Familie eine harte Zeit an. „Ich habe mich verfolgt gefühlt und Panikattacken durchlitten. Alleine konnte ich nicht mehr in den Stall gehen“, erzählt Sabine Pail. Die Kinder habe sie nicht mehr in den Hof hinausgelassen. Noch heute rase ihr Puls, wenn sie an diese Zeit zurückdenke. Ganz die Alten sind sie nie wieder geworden, meint das Ehepaar. „Die Aktion des VGT hat uns als Menschen verändert. Unsere Offenheit und unser Glauben an die Aufrichtigkeit anderer haben gelitten. Wir trauen niemandem mehr so einfach über den Weg.“
Was Pail erzählt, ist laut der diplomierten Lebensberaterin Anna Eckl typisch für Menschen, die erleben müssen, dass Fremde in ihren höchstpersönlichen Lebensbereich eindringen. Ähnliches berichten auch Opfer von Wohnungseinbrüchen. „Dadurch geht das Vertrauen in eine gewisse Grundsicherheit verloren.“ Wenn Landwirte dann noch in sozialen Netzwerken angeprangert werden, folgen Angst, Scham und Unsicherheit. Wird keine professionelle psychologische Hilfe in Anspruch genommen, drohen Schlafstörungen, Verzweiflung und der völlige Rückzug aus der Gesellschaft.
Den Eindringlingen können die Betroffenen aber rechtlich kaum etwas entgegensetzen. Meist ist es nicht einmal bekannt, wer die Kameras im Stall angebracht hat. Die Aktivisten berufen sich darauf, dass ihnen das Material anonym zugespielt wurde. Selbst wenn sie in flagranti ertappt werden, gibt es keine strafrechtliche Handhabe, wenn keine Sachbeschädigung begangen oder Gewalt ausgeübt wurde.
Auch das Anfertigen von Ausnahmen ist straflos. Vorgehen kann man dagegen nur mit einer Besitzstörungsklage. Der Bauernbund hält das für eine Gesetzeslücke und möchte diese schließen. Das Delikt des Hausfriedensbruches soll, ähnlich wie in Deutschland und der Schweiz, auf Betriebsstätten wie Stallungen oder Schlachthöfe ausgeweitet werden. Verurteilte hätten dies dann in  ihrer Strafakte stehen. „Wer unerlaubt in fremde Stallgebäude eindringt, hat keinen Respekt vor privatem Eigentum. Es darf auch niemand in eine fremde Wohnung spazieren und dort Verunsicherung und Verwüstung hinterlassen“, argumentiert Bauernbund-Präsident Georg Strasser. Ein entsprechender Antrag seiner Partei wurde im Herbst 2019 im Nationalrat aber mit den Stimmen aller anderer Parteien abgelehnt. Die Regierungsbeteiligung der Grünen macht die Umsetzung des Ansinnens  nach Ansicht des Bauernbundes noch unwahrscheinlicher.
„Wir wollen Hausfriedensbruch nicht verharmlosen und die psychische Belastung nicht kleinreden“, meint die Landwirtschaftssprecherin der Grünen im Nationalrat, Olga Voglauer. Auch mache man den Bauern pauschal keinen Vorwurf, weil sie sich nach den Rahmenbedingungen richten müssten und in einem System gefangen seien. Gleichzeitig vertritt die Partei aber die Meinung, dass man Tierschützer nicht kriminalisieren dürfe: „Das Aufdecken von Leid hat zum Umdenken in vielen Bereichen geführt.“ Das müsse auch weiterhin möglich sein.
Die Kärntnerin wünscht sich häufigere Kontrollen durch die Veterinärbehörden, damit die Gesellschaft nicht auf anonyme Aufdecker angewiesen ist, um zu wissen, was in den Ställen vorgeht. Daneben solle die Politik aber auch die Rahmenbedingungen verbessern: „Wir müssen die Tierhalter dabei unterstützen die Ställe so zu gestalten, dass sie für Tierschützer kein Problem mehr sind und wir problemlos jederzeit Fotos davon herzeigen können.“ Voglauer drängt durchaus auch auf mehr Feingefühl seitens der Tierrechtler: Statt nur zu skandalisieren, sollten sich die Aktivisten mit den Bauern zusammensetzen und über Verbesserungen reden. „Wahrer Tierschutz wäre es, nicht nur darauf hinzuweisen, was falsch läuft, sondern auch zu sagen, was sich schon alles verbessert hat.“
Reden und diskutieren ist auch für Werner Pail weiterhin wichtig: „Es darf immer noch jeder kommen, der unseren Betrieb anschauen will. Nur den VGT wollen wir nicht mehr auf unserem Hof sehen.“ Die Tätigkeiten des Vereins „Saugut“ sind seit damals aber zurückgefahren worden. Tage der offenen Stalltür hat kein Mitgliedsbetrieb mehr angekündigt.
BLICK INS LAND hat auch den Verein gegen Tierfabriken VGT um eine Stellungsnahme gebeten. Bis zum Redaktionsschluss erreichte uns keine Antwort.  STEFAN NIMMERVOLL

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