Ohne Herdenschutz wird es nicht gehen
Kaum ein Thema bereitet der Almwirtschaft so viele Sorgen wie die Rückkehr des Wolfes. Das Österreichzentrum Bär, Wolf, Luchs soll an einer Koexistenz arbeiten. STEFAN NIMMERVOLL im Interview mit Geschäftsführer ALBIN BLASCHKA.
Die Almsaison ist vorbei, die Tiere sind wieder auf den Heimatbetrieben. Wie ist ihre Bilanz über das Wolfs-Jahr 2021?
Es war durch eine Steigerung der Risszahlen gekennzeichnet. Das verwundert nicht, wenn man sich die steigenden Wolfszahlen in den Nachbarländern anschaut. Dort sind die Gebiete besetzt. Die Nachkommen suchen sich neue Reviere und erreichen dabei Österreich. Vor allem aus Italien kommt eine größere Anzahl an Wölfen nach.
Gibt es dazu konkrete Zahlen?
Per Ende September haben wir 40 eindeutig genetisch identifizierte Wölfe und 415 getötete Nutztiere, das meiste davon Schafe.
Wolfsbefürworter rechnen gerne die Anzahl der Risse mit sonstigen Verlusten am Berg gegen und meinen, dass diese ja nur einen Bruchteil davon darstellen.
Nüchtern betrachtet sind die nackten Zahlen vielleicht tatsächlich noch gering. Die Zahl der Risse wird aber steigen.
In manchen Gegenden ist es zu einer Eskalation der Ereignisse gekommen. Tiere wurden in Nacht und Nebel-Aktionen vom Berg geholt. Stimmen Sie der Aussage zu, dass wir die Situation nicht im Griff haben?
Aus der Emotion heraus ist diese Formulierung verständlich. Nüchtern betrachtet ist Tiere von der Alm zu holen aber auch eine Strategie sie zu schützen, auch wenn das mit vielen Nachteilen verbunden ist. Unbestritten ist, dass wir uns in einer neuen Situation befinden, auf die wir uns erst einstellen müssen. Die Entwicklung geht dabei so schnell, dass wir mit damit kaum nachkommen.
Sie betreuen auch das Beutegreifer-Notfallteam. Wie wird dieses denn angenommen und wie oft ist es heuer ausgerückt?
Es wurde dreimal abgerufen; einmal in Salzburg und zweimal in Kärnten. Das Angebot steht, es kostet den betroffenen Landwirten nichts und sollte viel mehr angenommen werden. Uns ist klar, dass das keine langfristige Lösung, sondern nur eine erste Hilfe vor Ort ist, um dem Landwirt zu zeigen, dass er nicht alleine dasteht.
Fürsprecher einer Bejagung des Wolfes meinen, dass dieser ja gar nicht mehr gefährdet wäre.
Es ist richtig, dass wir in Europa ungefähr 17.000 Wölfe haben und eine Gefährdung insgesamt damit nicht wirklich argumentierbar ist. In Österreich haben wir aber „nur“ diese 40 Wölfe. Damit ist der „günstige Erhaltungszustand“ nicht gegeben. Zu sagen, woanders sind genug da, also brauchen wir ihn hier nicht, ist alleine schon rechtlich nicht haltbar.
Sind wolfsfreie Gebiete, wie Sie von der Landwirtschaft allenthalben gefordert werden, denkbar?
So weit ich das beurteilen kann, sind diese aufgrund der EU-rechtlichen Lage nicht umsetzbar. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass das eine realisierbare Lösung sein könnte. Wir müssen viel eher schauen, dass wir den Herdenschutz vorantreiben. Dabei geht es nicht nur um Zäune, sondern zum Beispiel auch um die Behirtung und um die Anschaffung von Hunden.
Die Politik beruft sich darauf, dass ein Abschuss viel einfacher zu bewerkstelligen wäre als es momentan Praxis ist.
Auch das ist in der Fauna Flora Habitat-Richtlinie geregelt. Dort steht, dass es, nach einem strikten Verfahren, eine Einzelentnahme geben darf. Dies kann nur in Ausnahmefällen, unter speziellen, streng geregelten Bedingungen als letzte Möglichkeit angewendet werden. Für eine Änderung dieser Richtlinie bedarf es Einstimmigkeit unter den Mitgliedsstaaten. Die ist derzeit nicht absehbar.
Aber dauert es nicht viel zu lange, bis der Instanzenweg durchlaufen wurde?
Auch in der Verwaltung gibt es da einen Lernprozess. In Kärnten ist die Genehmigung zuletzt innerhalb von rund zehn Tagen da gewesen. In Salzburg 2019 hat es lange gedauert, der Wolf war da weitergezogen.
Wie identifiziert man den „Problemwolf“ dann eindeutig?
Einen Wolf in der freien Natur anzusprechen und zu unterscheiden ist eine Herausforderung. Man behilft sich mit der Krücke des räumlichen und zeitlichen Zusammenhanges. Wenn ich dem Gebiet, in dem es zu Übergriffen gekommen ist, einen Wolf sehe, wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit das gesuchte Tier sein. Wie man das in Zukunft handhaben kann, ist eine andere Frage.
Hinter vorgehaltener Hand redet man von „Schießen, scharren, schweigen“. Haben Sie Hinweise auf illegale Abschüsse von Wölfen?
Zumindest hat es keine Funde von Kadavern gegeben. Eine illegale Maßnahme kann aber nie eine Lösung sein. Das muss man ganz klar sagen.
Beim Stichwort „Herdenschutz“ geht vielen Almbauern die Hutschnur hoch. Was ist auf Österreichs Bergen überhaupt möglich?
Zunächst darf man nicht vergessen, dass in den letzten Jahren 40 Prozent der Risse auf den Heim- und Talweiden passiert sind. Hier kann man mit entsprechenden Zäunen sehr viel erreichen. Im Berggebiet im eigentlichen Sinne wird man um eine Lenkung mit Hirten und den Einsatz von Hunden nicht umhinkommen. Wir arbeiten gerade an einer zeitgemäßen Ausbildung von Hirten. Die müssen wir auch in die landwirtschaftlichen Fachschulen bekommen. Wir sind da zum Beispiel in Kontakt mit der Schule in Salern in Südtirol, die so etwas schon anbietet. Ich bitte aber um Verständnis, dass wir dafür noch etwas Zeit brauchen.
All das ist auch eine Frage der Finanzierbarkeit. Braucht es mehr Geld von der öffentlichen Hand?
Nachdem die Rückkehr des Wolfes ein gesellschaftlicher Wunsch ist, ist diese auch gefragt, dafür Unterstützung zu leisten. Insgesamt muss man das aber ohnehin in einem größeren Rahmen sehen: Die Almwirtschaft steht mit dem Klimawandel und dem Strukturwandel mehrfach unter Druck. Die Zahl der aufgetriebenen Tiere hat auch vor dem Wolf abgenommen, mit allen Problemen wie zum Beispiel der Verbuschung und der gestiegenen Erosionsgefahr. Auch dagegen kann man mit einer gezielten Weideführung durch Hirten vorgehen. Dafür wird es ebenso eine permanente Beaufsichtigung der Tiere brauchen. Die Beutegreifer sind also nur ein Teil des Ganzen.
Wer sollen diese Hirten dann sein? Saisonarbeiter aus dem Osten, wie in anderen landwirtschaftlichen Sektoren?
Es gibt schon österreichische Schafhirten. Die arbeiten aufgrund des Lohnniveaus aber derzeit in der Schweiz. Wir müssen das Berufsbild attraktiveren. Dafür braucht es auch kreative Ansätze: Ein Hirte könnte zum Beispiel im Winter beim Lift arbeiten. Wenn eine Gemeinde Wert auf ihr Almwesen legt, könnte er formell dort Mitarbeiter sein, im Sommer Schafe führen und im Winter Schneepflug fahren. Da wird es neue Modelle brauchen.
Sehen Sie überhaupt eine ausreichende Bereitschaft der Bauern, Herdenschutzmaßnahmen zu ergreifen?
Es gibt schon interessierte Landwirte, die sich damit auseinandersetzen wollen. Für sie ist klar, dass man etwas unternehmen muss. Die Wölfe sind da. Ihr Schutzstatus ist so, wie er ist. Man muss also darauf reagieren. Das Bewusstsein dafür wird stärker. Wir arbeiten im Rahmen des Projektes LIFEstockProtect gerade daran, sogenannte Herdenschutzkompetenzzentren aufzubauen. Dort sollen ab nächstem Jahr Landwirte anderen Landwirten Know How vermitteln.
Bauern, die versuchen andere Wege zu gehen, haben es in den Dörfern nicht leicht. Wie ist das, wenn sie bei Bauernversammlungen auftreten? Sind sie wegen ihrer Tätigkeit schon persönlich angefeindet worden?
Nein. Mir ist es trotz berechtigter Emotionen immer noch gelungen, auf eine sachliche Diskussionsebene zu kommen. Anderen Leuten ist es schon passiert, dass sie beschimpft wurden. Es wird oft gemeint, dass jemand, der für Herdenschutz ist, automatisch pro Wolf ist. Das stimmt nicht. Der Wolf ist nicht das eigentliche Thema, das Thema ist Schutz der Weidetiere. Dafür erarbeiten wir im Österreichzentrum Lösungen.
Sie haben gesagt, dass ihre Konzepte ein paar Jahre brauchen werden, bis sie greifen. Die Schafe sollen aber schon nächsten Sommer wieder auf die Alm. Glauben sie, dass die Bauern dazu überhaupt noch bereit sein werden?
Bei den meisten ist die Entscheidung noch nicht gefallen. Wahrscheinlich werden sich speziell kleinere Landwirte leider überlegen, ob sie sich die Alm noch einmal antun. Andere werden versuchen die Tiere zu schützen. Deswegen sehen wir die Dringlichkeit des Problems. Wir müssen rasch gemeinsam mit allen Verantwortlichen weitere Lösungsvorschläge anbieten. Die genannten Herdenschutzkompetenzzentren sind hier ein erster, aber wichtiger Teil – die starten mit nächstem Jahr.
Wie werden wir das Thema „Wolf und Almwirtschaft“ in ein paar Jahren im Rückblick betrachten?
Ich hoffe, dass sich die Emotionen dann einigermaßen gelegt haben, weil konkrete Ansätze gegriffen haben und es entsprechende Antworten auf die Herausforderungen gibt.
Albin Blaschka war von 2003 bis zu der Aufnahme der Tätigkeiten als Geschäftsführer des Österreichzentrums im September 2019 an der HBLFA Raumberg-Gumpenstein im Bereich Kulturlandschaft, Renaturierung und Projektmanagement tätig. Er hat sich dabei auf Beweidung und Almwirtschaft spezialisiert. Als Geschäftsführer arbeitet er eng mit dem Vorstand, den ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedern zusammen und ist für die Organisation und Umsetzung der Projekte des Österreichzentrums verantwortlich.
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