Nicht von einem ins andere Extrem fallen

Wie gelingt es, den Klimawandel einzudämmen und die Weltbevölkerung zugleich satt zu machen? Nicht mit rein veganen Lebensmitteln, meint der Experte für Tierernährung, WILHELM WINDISCH, im Interview mit STEFAN NIMMERVOLL. Die Fütterung muss sich aber radikal ändern.

Sie treten für eine „nachhaltige Intensivierung“ der Landwirtschaft ein. Das hört sich eigentlich nach zwei gegensätzlichen Ausrichtungen an.

Nachhaltigkeit und Intensivierung scheinen tatsächlich ein Widerspruch zu sein. Sie sind es aber überhaupt nicht. Denn es geht darum, mit weniger Input mehr herauszubekommen. Mit der Vermeidung von Verlusten und der Minimierung des Ressourcenverbrauchs wird ein intensiv geführtes System nachhaltig.

Die Europäische Kommission will in der Farm to Fork-Strategie vor allem den Einsatz von Betriebsmitteln reduzieren. Letztlich läuft das wohl auf eine Extensivierung der Produktion hinaus. Versteht die Politik, worum es geht?

Die Reduktionsziele an sich sind grob betrachtet OK. Ich habe aber kein Verständnis dafür, wenn man einfach nur auf die Bremse tritt und alles verlangsamt. Damit fährt man das Gesamtsystem herunter, verbessert aber nichts. Das ist die dümmste Art, wie man Emission und Klimawirkungen reduziert.

Es müssen aber immer mehr Menschen ernährt werden.

Die landwirtschaftliche Nutzfläche als Grundlage ist limitiert. Mit ihr muss ich sowohl effizient als auch nachhaltig umgehen. Dafür müssen wir Schwachstellen identifizieren und eliminieren.

Wo sehen Sie die?

Wir denken viel zu sektoral, nur in der Tierproduktion oder nur in der Pflanzenproduktion und nur am Einzelbetrieb. In der agrarischen Kreislaufwirtschaft braucht es den Blick auf die großen Dimensionen. Da gehört auch die Lebensmittelindustrie dazu. Die Hälfte des Mischfutters, das gehandelt wird, besteht zum Beispiel aus Nebenprodukten der Verarbeitung von Lebensmitteln. Das sind enorme Mengen an Pflanzennährstoffen, die als Ernteprodukte dem landwirtschaftlichen Betrieb entzogen wurden und über die Wirtschaftsdünger wieder zurückkehren.

Das Schlagwort „Kreislaufwirtschaft“ hört sich ja gut an. Aber kann man das in einem globalen System, in dem weltweit gehandelt wird, so einfach umsetzen?

Kreisläufe kann man auch global denken. Theoretisch müsste ich nur die Gülle nach Brasilien zurückbringen. Das wird man in der Praxis natürlich nicht tun. Aber es ist wichtig, die weltweiten Zusammenhänge der stofflichen Flüsse zu bewerten und nicht nur die eigene Region zu sehen.

Hat ein einzelner kleiner Bauernhof, der sich auf einen Zweig spezialisiert hat, dann überhaupt eine Chance, solche Kreisläufe zu schließen?

Ja, wenn sich mehrere Betriebe in einem größeren Kontext vernetzen. Da muss man zumindest das ganze Dorf mitdenken und arbeitsteilige Produktionsformen finden. Wenn ich sage, wir haben zu viel Tierproduktion, heißt das nicht, dass sich niemand mehr auf Schweinemast spezialisieren darf. Wenn er sich mit andern vernetzt, die dafür das Futter bereitstellen, entsteht ein größeres System, das in sich wieder ausgeglichen sein kann.

Das große übergeordnete Ziel des Green Deals ist die Bekämpfung des Klimawandels. Lässt sich diese mit der Versorgung der Weltbevölkerung überhaupt unter einen Hut bringen?

Es wird uns gar nichts anderes übrigbleiben. Aber wir stehen vor einer Fülle von Zielkonflikten, bei denen wir einen Mittelweg finden müssen. Unsere intensive Tierproduktion verursacht durchaus hohe Emissionen. Und das Ernährungsverhalten wird sich ändern müssen, vielleicht nicht mehr so viel Schweine- und Geflügelfleisch, denn das sind die Hauptverursacher von Nahrungskonkurrenz zum Menschen. Aber wenn wir die Tierhaltung zu sehr zurückfahren, kommt eine Grenze, ab der das System der Kreislaufwirtschaft nicht mehr austariert ist.

Also lässt sich die Welt definitiv nicht damit retten, dass alle vegan werden?

Nein. Reine vegane Ernährung ist keine Lösung. Wenn wir vollständig auf Nutztiere verzichten, müssten wir die vegane Produktion verdoppeln. Das wäre den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Schauen wir uns die Zahlen an: Für ein Kilogramm veganes Lebensmittel im Geschäft erzeugt die Landwirtschaft mindestens vier Kilo nicht essbare Biomasse als Nebenprodukt. Die einfach am Feld verrotten zu lassen, ist ineffizient. Die Ressourcen für die Gewinnung des veganen Hauptprodukts sind ja schon verbraucht worden. Man muss vielmehr die Nutztiere als Verwerter der ohnehin schon vorhandenen, nicht essbaren Biomasse dazunehmen. Dann habe ich keine Nahrungskonkurrenz und gewinne obendrein noch zusätzliche Lebensmittel. Die Menge an Kilokalorien und Eiweiß, die dabei herauskommt, ist ungefähr so groß wie beim veganen Produkt selbst. Und am Ende der Verwertung habe ich immer noch die Wirtschaftsdünger, die in den Kreislauf rückgeführt werden.

Das Argument, dass zu viel Getreide verfüttert wird, ist aber nicht von der Hand zu weisen.

Das ist richtig. Weltweit gehen ein Drittel der Getreideernte und mehr als drei Viertel des gesamten Sojas in die Fütterung. Ein großer Teil unserer Tierproduktion läuft tatsächlich auf Kosten von menschlicher Nahrung. Damit müssen wir aufhören und unsere Futtermittel auf Nebenprodukte umstellen. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, von einer überhöhten Tierproduktion ins andere Extrem zu schwenken und alles vegan machen zu wollen.

Das Schlagwort „Intensivierung“ ist ja im Allgemeinen nicht recht positiv besetzt. Verwenden Sie da den richtigen Begriff?

Darüber kann man sicher nachdenken. Wissenschaftlich ist er aber richtig. Es geht dabei keineswegs nach dem olympischen Motto „schneller, höher, weiter“. Wichtig ist die möglichst effiziente Nutzung der vorhandenen Ressourcen, und zwar im Gesamtsystem. Auf einem durchschnittlichen Milchviehbetrieb frisst beispielsweise die Nachzucht fast die Hälfte des insgesamt verbrauchten Futters. Diesen „unproduktiven“ Futterkonsum muss man auf möglichst viel Milch während der produktiven Lebensphase der Kühe verteilen. Das heißt aber nicht, dass man die Jahresleistung von 10.000 auf 15.000 kg steigern muss. Viel interessanter ist eine höhere Lebensdauer der Kühe. Wenn sie mehr Laktationszyklen absolvieren, reicht auch eine mäßige Jahresleistung. Damit erschlägt man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Man braucht weniger Kraftfutter und vermeidet Nahrungskonkurrenz zum Menschen, das Grünland wird optimal genutzt und die Tiere sind gesünder. Intensivierung, Nachhaltigkeit, Tierwohl und Tierschutz gehen sehr wohl zusammen. Das hat allerdings auch Rückwirkungen auf die Zuchtziele. Wir brauchen beispielsweise Milchkühe, die für eine hohe Grobfutterverwertung ausgelegt sind, ebenso Schweine, die anstelle von Körnermais die faserhaltigen Nebenprodukten der Lebensmittelproduktion gut verwerten können, so wir unser altes Hausschwein.

Agrarische Rohstoffe landen ja nicht nur am Teller und im Trog, sondern auch in der Industrie. Wie legitim ist das?

Wir müssen bei der Verwertung der agrarischen Biomasse klare Prioritäten setzen: Zuerst kommt die essbare Biomasse, die dem Menschen unmittelbar als Nahrung dient. Im zweiten Schritt sollte die nicht essbare Biomasse über Nutztiere veredelt werden, also auch hier wieder das vorrangige Ziel der Ernährung des Menschen. Was an Biomasse übrig bleibt, kann gerne in die Industrie gehen. Das ist durchaus sinnvoll, solange diese stofflich genutzt wird und am Ende der Nutzung rezykliert werden kann. Die energetische Verwertung, also die direkte Verbrennung oder der indirekte Weg über Biogas, Biodiesel oder Biosprit, sollte erst ganz am Ende der stofflichen Verwendung erfolgen. Das wäre zum Beispiel Biogas aus Gülle. Landwirtschaftliche Biomasse ist ein viel zu wertvoller Rohstoff. Es gibt nichts Schlimmeres, als dieses enorme Kapital an vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten einfach zu verheizen. Stofflich verwertbare Biomasse nur zu Biosprit oder zu Biogas zu machen, entspricht einer Denke von vor 20 Jahren.

Prof. Dr. Wilhelm Windisch ist Agrarwissenschaftler mit Schwerpunkt Nutztierfütterung. Er leitete von 2002 bis 2010 das Institut für Tierernährung, tierische Lebensmittel und Ernährungsphysiologie (TTE) an der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien und wechselte anschließend zum Lehrstuhl für Tierernährung an der Technischen Universität München (TUM). Er ist Vorsitzender des Beirats des Ökosozialen Forums Österreich.

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