Nachbau behindert Fortschritt

Die Raiffeisen Ware Austria, RWA, ist einer der wichtigsten Produzenten von Saatgut in Zentraleuropa. Bereichsleiter FLORIAN MAYER steckt im Interview mit STEFAN NIMMERVOLL die Rahmenbedingungen für die Zukunft ab.

Der Rübenderbrüssler frisst sich gerade wieder munter durch die Zuckerrübenfelder. Eine Situation, die sich vermeiden ließe?

Das hätte sich vermeiden lassen, wenn auch für die Rübe das entsprechende Beizmittel da gewesen wäre. Das ist, außer heuer und im letzten Jahr, immer genehmigt worden und es hätte mehr Planungssicherheit sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Industrie gegeben.

Notfallzulassungen sind ja nicht mehr im Interesse des europäischen Gesetzgebers.

Grundsätzlich gibt es das Vehikel der Notfallzulassung schon noch. Produkte, die über keine Regelzulassung mehr verfügen, dürfen damit aber nicht reaktiviert werden. Bei den Neonicotinoiden verfügt keines darüber. Das hat uns im Kürbis gleichermaßen betroffen. Und wir haben generell keine Planungssicherheit mehr. Wir haben dort die Notfallzulassung sehr spät bekommen, im Februar. Da sollten wir schon drei Wochen lang produziert haben. Wir können nicht ins Blaue hinein beizen, ohne zu wissen, ob das Mittel zugelassen wird oder nicht.

Ist zumindest das Problem mit dem Kürbissaatgut für heuer gelöst?

Wir haben letztes Jahr intensiv mit unserer Saatzucht Gleisdorf geforscht und eine Alternative gefunden, die uns wieder Stabilität bringt. Die Beizkombination mit einer doppelt fungiziden Wirkung ist aber nicht so stark wie das bisherige Mittel. Wir wissen, dass in der Steiermark schon ein Viertel der Kürbisse angebaut wurden. Aktuell liegt da nun überall Schnee auf den Äckern, das wird zu Schwierigkeiten führen. Es war absehbar, dass die 30 Grad nicht bis in den Juli hinein bleiben und die Bodentemperatur Probleme bereiten wird.

Die Zahl der Wirkstoffe, die noch als Beizen zugelassen sind, wird generell immer geringer. Wie groß ist das Problem für Europas Landwirtschaft?

Das Problem ist massiv und wird enorm unterschätzt. Wir sehen im Getreide und im Mais, dass wir in zwei, drei Jahren die wichtigsten Wirkstoffe verlieren.

Rein mengenmäßig betrachtet könnten Beizen ja dazu beitragen, Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren.

Ja, weil die Beizmittel in der Applikation sehr zielgerichtet sind und es keine Sprühverluste gibt. Sie sind eine ideale Ausbringungsart für Pflanzenschutz. Die Sustainable Use Regulation, SUR, mit dem Ziel, die Menge an Pflanzenschutzmitteln zu halbieren, ist zwar aufgehoben worden, weil es den einen zu weit und den anderen zu wenig weit gegangen ist. Die Ampelkoalition in Deutschland will die SUR aber neu aufsetzen. Das kommt garantiert in der nächsten Legislaturperiode wieder auf uns zu.

Gibt es Ersatzwirkstoffe in der Pipeline, die als Beize eingesetzt werden können?

Grundsätzlich gäbe es schon Produkte. Das Problem ist aber, dass auch die Pflanzenschutzmittelindustrie große Planungsunsicherheit hat. Zulassungsverfahren dauern ewig, es gibt keine Entscheidungen.

Welche Bedeutung haben neue Züchtungsmethoden für die RWA?

Sie sind ein wichtiges zusätzliches Werkzeug für Saatzüchter, aber sicher kein Allheilmittel. Sie bieten sehr niederschwellige Möglichkeiten auch für mittelständische Betriebe, um auf Herausforderungen wie den Klimawandel Antworten zu finden.

Ist CRISPR/Cas9 für Sie Gentechnik?

Prinzipiell fällt sehr viel unter Gentechnik. Mit Mutagenese ist zum Beispiel sämtliches Pflanzenmaterial gentechnisch verändert worden. Das muss nicht deklariert werden. Dann gibt es die herkömmliche Gentechnik, die bei uns verboten ist. Die „New Breeding Technologies“ gehören für uns nicht dazu.  Sie sollten, auch in der gesellschaftlichen Diskussion, nicht mit der herkömmlichen Gentechnik vermischt werden. Mit ihnen können sehr zielgerichtete Fortschritte erreicht werden. Das sollten wir für den Wirtschaftsstandort Europa unbedingt erhalten.

Gentechnik ist neben der Atomkraft das große Tabu in der heimischen Gesellschaft. Glauben Sie, dass man dafür jemals Akzeptanz erreichen wird?

Ich würde es der Gesellschaft stark empfehlen. Wir Österreicher haben bei gewissen Themen einen etwas schizophrenen Zugang: Die Neutralität ist super, solange uns die anderen verteidigen. Atomstrom, nein danke, solange wir Strom von anderen Ländern beziehen, da fragen wir nicht, wie der produziert wird. Beizen brauchen wir gar nicht, solange wir Erdäpfel aus Ägypten und Raps aus der Ukraine bekommen, da fragen wir nicht, unter welchen Bedingungen produziert wird. Wir tun gern so, als ob wir auf einer Insel der Seligen lebten und hoffen, dass links und rechts von uns alles vorbei zieht. Ich wünsche mir, dass wir aus dieser Haltung herauskommen. Wir brauchen einen intensiven Schulterschluss zwischen Politik und Interessensvertretungen und eine klare Kommunikation an die Menschen, mit den Fakten und ohne ideologisch begründete Scheindiskussion.

Werden wir in Zukunft Saatgut, das damit hergestellt wurde, auf Österreichs Feldern sehen?

Das hängt stark davon ab, wie das Europäische Parlament dazu entscheidet. Die Österreicher haben noch eine Deklarationspflicht für Bio hineinreklamiert. Das würde uns eine bürokratische Last aufbinden, die uns nicht weiterbringt. Denn die Züchtungsprozesse sind bei Konventionell und Bio die gleichen. Unterschieden wird erst, wenn im Werk keine Beize aufgetragen und im Feld kein Pflanzenschutz angewendet wird.

Um wie viel lässt sich der Züchtungsprozess mit der Genschere verkürzen?

Um die Hälfte. Wir brauchen bisher zehn Jahre, bis eine Sorte zulassungsfähig ist und könnten sicher 50 Prozent der Zeit sparen.

Wie würde eine Patentierbarkeit von Sorten ihre züchterische Arbeit beeinflussen?

Wir sprechen uns als mittelständischer Saatzüchter gegen Patente aus. In der Saatgut-Erzeugung gibt es den sogenannten Sortenschutz. Der ist für uns ausreichend, um rechtlich gut abgesichert zu sein. Wir beharren aber auf dem Züchterprivileg und wollen bestehende Sorten für unsere Arbeit nutzen können.

Auf der anderen Seite wird befürchtet, dass ein neues Saatgut-Recht die Interessen der Agrar-Industrie befördert und den Einsatz von bestehenden Sorten bei den Bauern behindert.

Die Forschung für die Züchtungen finanziert sich über die Lizenzgebühr, nur über dieses Geld können wir besser und effizienter werden. Bei Nachbau entfällt diese Lizenz. So gesehen behindert Nachbau den züchterischen Fortschritt. In Österreich ist sehr klar geregelt, was unter Nachbau erlaubt ist. Getreidesaatgut kann ein Landwirt, anders als in Deutschland, für seinen eigenen Bedarf nachbauen. Hybridkulturen und Soja sind aber ausgenommen. Mittlerweile haben wir bei Sojasaatgut jedoch eine Nachbauquote von über 50 Prozent. Ein Kavaliersdelikt, bei dem alle zuschauen. Ein landwirtschaftlicher Betrieb, der seinen Erfolg auf illegalem Saatgut aufbaut, wirtschaftet in diesem Sinne nicht nachhaltig.

Wird es in Zukunft überhaupt weiterhin eine erfolgreiche Saatgutvermehrung in Ostösterreich geben können, wenn das nötige Wasser dafür fehlt?

Grundsätzlich wird der Jahresniederschlag durch den Klimawandel weniger beeinflusst werden, eher der Zeitpunkt. Wir haben mit enormen Mengen auf einmal zu rechnen. Das wird die Wasserverfügbarkeit beeinflussen. Aus meiner Sicht werden wir ackerbaulich mit Bewässerung in den nächsten zehn Jahren sichere Erträge produzieren können. Das Thema wird aber ein gesellschaftliches werden. Der Kampf ums Wasser ist eröffnet. Wir sehen es im Burgenland, wo es Tourismus gegen Landwirtschaft heißt und mit populistischen Bildern seitens der Politik gearbeitet wird. Die Landwirtschaft muss da ein entsprechendes Selbstbewusstsein entwickeln: Wir produzieren Lebensmittel und müssen eine entsprechende Versorgungssicherheit gewährleisten. Dafür müssen wir auf Wasser zugreifen können.

Sie haben im Vorjahr die Seed Innovation Challenge durchgeführt. Welche Schlüsse konnten sie aus den Einreichungen ziehen?

Die Seed Innovation Challenge war sehr erfolgreich und wir konnten feststellen, dass künstliche Intelligenz in der Saatgutwirtschaft angekommen ist, dass wir mithilfe von Rechenmodellen unsere Vermehrungen in Zukunft besser planen können und dass die große Saatgut-Welt zu uns nach Korneuburg kommt, wenn wir einladen.  So haben wir es geschafft, alle national und international relevanten Saatgut-Unternehmen an einen Tisch zu bringen.

Florian Mayer hat an der Universität für Bodenkultur studiert und begann bei der RWA als Trainee und Assistent des Vorstandes. Danach war er Geschäftsführer der RWA Magyaroszág und Abteilungsleiter in der Saatgutproduktion. Seit 1. Juli 2023 verantwortet er die Bereichsleitung Saatgut.

 

Der Beitrag Nachbau behindert Fortschritt erschien zuerst auf Blick ins Land.

CRISPR/Cas, News, RWA, Saatgut, Soja

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