Keiner wagt es sich zu verscherzen

Die Machtfülle der großen Drei im Lebensmitteleinzelhandel ist gewaltig. Offen ansprechen trauen sich die Praktiken der Einkäufer aber wenige. STEFAN NIMMERVOLL hat versucht, mit dem Marktexperten GÜNTER THUMSER Licht ins Dunkel zu bringen.

Im Einkaufskörberl der Österreicher liegen immer häufiger Clever, S-Budget und Co. Tut ihnen das als Vertreter der Markenartikler weh?

Der Handel versucht sich immer stärker mit seinem eigenen Sortiment, auf das er seine Handelsnamen draufdruckt, bei den Konsumenten zu profilieren. Diese problematische Dynamik hat sich in den letzten zwei Jahren noch einmal deutlich verstärk. Innerhalb des gesamten Warenkorbes ist der Anteil bei den Lebensmitteln inzwischen wertmäßig über 34 Prozent. Mengenmäßig ist das wahrscheinlich bald jedes zweite gekaufte Stück. Und bei einzelnen Warengruppen liegt der Anteil schon deutlich darüber.

Oft läuft die Eigenmarke ja vom selben Band wie das Markenprodukt. Welchen vernünftigen Grund hätte denn der Konsument, die Marke zu kaufen?

Da stelle ich die Frage in die andere Richtung: Welchen Sinn macht es, auf die Milch Spar oder Billa draufzuschreiben? Es reicht doch, wenn ich weiß, welche Molkerei das produziert hat. Der Konsument will ja eigentlich wissen, wo das Produkt herkommt. Er weiß ja, in welchem Supermarkt er es kauft. Die viel wichtigere Botschaft ist der Ursprung, welche Art der Landwirtschaft und welcher Verarbeiter dahintersteht.

Ist es tatsächlich ein „Muss“ für Hersteller, Eigenmarken zur Verfügung zu stellen? Machen sich die Hersteller damit nicht die eigene Marke kaputt?

Sie haben oft keine andere Wahl, als den Forderungen der Handelskonzerne, diese Produkte auch unter deren Namen abzufüllen, nachzukommen. Die Einkaufsmacht liegt eindeutig bei den großen Handelskonzernen.

Die drei großen Lebensmitteleinzelhändler – Spar, REWE und Hofer – üben dem Vernehmen nach großen Druck auf ihre Lieferanten aus.

Wenn man einen freien Wettbewerb so definiert, dass die Partner in einer Lieferkette einander auf Augenhöhe begegnen sollten, dann ist es nicht besonders vorteilhaft, wenn auf drei Organisationen über 86 Prozent des gesamten Haushaltseinkaufs entfallen. Die Nachfrage von zweieinhalb Millionen Haushalten wird auf drei Einkäufer konzentriert. Dem stehen tausende Lieferanten gegenüber. Der Einkäufer trifft eine Vorentscheidung, was er überhaupt dem Konsumenten zur Wahl offeriert.

Im Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus wurde ein Fairnessbüro eingerichtet. Ist der Handel ein so unfairer Partner, dass diese Stelle braucht?

Ich zitiere gerne die Untersuchung der Bundeswettbewerbsbehörde, die ganz zu Beginn feststellt, dass ein erheblicher Anteil der Befragten sich über unfaire Forderungen der Handelsorganisationen beklagt hat.

Wenn man von unfairen Handelspraktiken spricht – welche kommen denn dabei besonders häufig vor?

Einer der wesentlichen Kritikpunkte ist, dass man den Lieferanten Kosten in Rechnung stellt, denen nicht eindeutige Gegenleistungen gegenüberstehen. Bei Lieferschwierigkeiten wurde unbotmäßige Pönale gefordert, obwohl aufgrund der weltpolitischen Lage gewisse Rohstoffe einfach nicht zeitgerecht lieferbar waren. Auch Stornierungen von Bestellungen unter einer seriösen Frist kommen vor. Die verderbliche Ware ist dabei schon produziert, wird aber nicht abgenommen. Oder Lieferaufstockungen ohne entsprechende Zeit, um die Produktion überhaupt zu ermöglichen. Dann wird wieder Pönale gefordert. Weiters gibt es die berühmten Eröffnungs- und Geburtstagspauschalen, an denen sich die Lieferanten beteiligen müssen, um teils erhebliche Benachteiligungen im Warengeschäft zu vermeiden.

Hinter vorgehaltener Hand hört man, wie hart die Preisverhandlungen ablaufen.

In den letzten drei Jahren wurden ernsthafte, betriebswirtschaftlich nachweislich unbedingt notwendige Preisanpassungen vom Handel brüsk zurückgewiesen und monatelang verschleppt. So etwas sollte in einem fairen, partnerschaftlichen Verhältnis nicht vorkommen.

Solche Gerüchte gibt es schon lange. Eine Beschwerde beim Fairnessbüro ist aber anonym. Braucht es nicht endlich einmal einen Hersteller, der das alles offen auf den Tisch legt? 

Selbst die Bundeswettbewerbsbehörde nimmt die geringe Bereitschaft, sich persönlich zu outen als deutlichstes Signal dafür wahr, wie unausgeglichen die Wettbewerbssituation zwischen Nachfrage und Angebot ist. Es kann sich keiner leisten, sich mit einer der drei Organisationen ernsthaft zu verscherzen. Wenn sie als Lieferant einen der Großen verlieren, fehlt ihnen ein Drittel des Umsatzes.

Der Handel sieht sich ja als „Anwalt der Konsumenten“, der hart für niedrige Preise verhandelt. Ist es nicht in Zeiten der Inflation das gute Recht der Kunden, billig versorgt zu werden?

Es ist nachvollziehbar, dass der Handel sich in der jetzigen Situation auf die einfache Position zurückzieht, dass er die Interessen der Konsumenten vertritt. Das ist aber eine Strategie, die aus der volkswirtschaftlichen Perspektive extrem kurzsichtig ist. Es hat niemand etwas davon, wenn die Bauern sich ihre Landwirtschaft nicht mehr finanzieren können, weil der Handel alle notwendigen Kostenanpassungen verhindert. Es hat auch kein Konsument etwas davon, wenn wir in Zukunft die Milchprodukte aus Ländern holen, wo die Kosten objektiv niedriger sind, weil es keine solchen Tierwohlstandards gibt, weil die Umweltverträglichkeit, Stichwort Gülle, nicht so eingehalten wird und der Bauer die Kühe keinesfalls mehr beim Namen kennt. Wenn eine Handelsorganisation Butter aus tschechischer Milch holt und sich dann als Vertreter der Konsumenten geriert, fehlt mir jegliches Verständnis. Im selben Atemzug sagt sie dann, sie bekennt sich zur Unterstützung der österreichischen Landwirtschaft. Das passt nicht zusammen.

Wer verdient an der Inflation?

An allererster Stelle sind die Margen bei den Energiekonzernen und in den Produktionsländern von Erdöl und Gas geblieben. Damit sind auch die Preise für Vorprodukte wie Dünger gestiegen. Keiner in der Landwirtschaft oder im Lebensmittelgewerbe hat daraus einen Vorteil. Allerdings schon einmal mehr die großen Handelskonzerne. Deren eherne Forderung ist die Spannenneutralität. Das heißt, er besteht darauf, dass der Prozentsatz der Spanne auch nach der Preiserhöhung gleich ist. Er hat also mehr absolute Marge.

Warum sind die Waren spürbar günstiger, wenn ich nach Deutschland über die Grenze fahre?

Nehmen wir das Beispiel Milch: Sie hat im Wesentlichen nicht die Qualität wie die österreichische. Und wir haben höhere Kosten, wie das 13. und 14. Monatsgehalt. Die Lohnnebenkosten sind bei uns höher. Die Kollektivverträge sind ganz anders. Die Mehrwertsteuer ist um einige Prozentpunkte höher. Wir haben deutlich höhere Logistikkosten bei den Herstellern und im Handel. Wir haben lange, tiefe Täler, während Deutschland mehr oder minder hügelig oder flach ist. Wir haben in Österreich eine Ladendichte, die Weltspitze ist. Der Luxus, dass vielfach neue Geschäfte eröffnet werden, obwohl es um die Ecke sowieso schon den Wettbewerber gibt, belegt, wie gut der Handel verdient.

Ein österreichisches Spezifikum ist auch der hohe Anteil an Aktionen.

Der Aktionsanteil liegt bei uns um die 33 Prozent und in Deutschland nur um die zehn. Das nivelliert den Preisunterschied. Weil es so viele Geschäfte gibt, gibt es im urbanen Raum und in größeren Gemeinden nicht mehr die klassische Hausmacht in der Wohnumgebung. Der Konsument kann auswählen, wohin er geht. Deshalb muss man sich wohl deutlich stärker über Aktionen profilieren.

Braucht es mehr Konzentration auf Seiten der Anbieter, um der geballten Handelsmacht entgegenzutreten?

Nein. Wir werden nie diese Machtzusammenballung bei den Lieferanten erreichen. Das wäre schlecht für die Konsumenten. Eine Vielzahl von Lieferanten garantiert ein reichhaltiges, qualitativ hochwertiges Sortiment. Über den Wettbewerb der verschiedenen Unternehmen entsteht Innovation. Sie bringt unsere Gesellschaft voran. Denken sie nur an die vielen Wünschen, was ökologische und soziale Verantwortung betrifft. Das funktioniert nur, wenn es genügend Wettbewerber gibt, die jeden Vorsprung ausgleichen wollen.

Gerade bei den Lebensmitteln ist der Druck hoch. Werden alle Produzenten diesen auf Dauer überstehen?

Die Fleischwarenbranche hat einen an Dramatik nicht mehr zu überbietenden Hilferuf gesendet. Dieses Schreiben kommt aus der schieren Verzweiflung. Es ist ein deutliches Warnsignal, wenn selbst große Unternehmen keine Gewinne mehr erzielen

Wird die Zwischenstufe des Markenherstellers irgendwann ganz ausgeschaltet und nur noch in Eigenproduktion erzeugt?

Das wäre allerdings ein trauriges Perspektivenbild. Es würde endgültig die Breite und Tiefe des Sortiments so einschränken, wie es in der Planwirtschaft in Osteuropa üblich war. Die Älteren unter uns haben das eine oder andere Mal die Gelegenheit gehabt, diese Regale zu sehen. Das wünsche ich mir für unser Land nicht.

Als Endausbaustufe stünde dann die Übernahme der gesamten Wertschöpfungskette, bei der auch der Stall dem Konzern gehört. Denkbar?

Es hat etwas Dystopisches, das nur im Interesse von ganz Wenigen sein kann. Es kann nicht im Interesse der Konsumenten sein und nicht im Interesse von denen, die die Bevölkerung mit bester, nachvollziehbarer, ökologischer Qualität versorgen wollen.

Günter Thumser (68) ist seit 2017 Geschäftsführer des Markenartikelverbandes Österreich. Zuvor war er lange Jahre Manager bei Henkel. Seit 2022 ist Thumser auch Präsident des ÖAMTC. Er ist Eigentümer einer Landwirtschaft mit Schafhaltung in Ybbsitz.

Der Beitrag Keiner wagt es sich zu verscherzen erschien zuerst auf Blick ins Land.

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