Im Zweifel ab zum Videoschiedsrichter

Die allermeisten Bauern in Österreich haben ein hohes Interesse am Wohlbefinden ihres Viehs. Was geschieht, sobald die Tiere den Hof verlassen, bleibt allerdings meist verborgen. Nun soll auch auf den Schlachthöfen mehr Transparenz Einzug halten. STEFAN NIMMERVOLL zu aktuellen Entwicklungen.

Ein Buch mit sieben Siegeln. Das sind die Abläufe in einem großen Schlachthaus für Konsumentinnen und Konsumenten. Selbst für Landwirte ist es nicht immer klar, wie mit den Rindern, Schweinen und Hühner, die sie großgezogen haben, in der letzten Phase ihres Lebens genau umgegangen wird. Heimlich aufgenommene Videos, wie jene, die zuletzt von einer steirischen Geflügelfleischerei an die Öffentlichkeit gekommen sind, lassen zusätzliche Fragen aufkommen. Betäubte Hendl werden da unter anderem als Putzfetzen benutzt. Doch sind die ungustiösen Sequenzen Standard an den heimischen Schlachtbändern?

Nein, meint der oberösterreichische Landesveterinärdirektor Thomas Hain. „Ich gehe davon aus, dass die Bilder eine Ausnahme sind.“ Die Betreiber würden sehr genau wissen, wie wichtig Tierschutz ist; einerseits wegen des Tieres selbst, andererseits auch wegen des Schadens an der Reputation, den solche Momentaufnahmen nach sich ziehen. Hain hat über seine amtlichen Tierärzte einen guten Einblick in die Abläufe. Diese überwachen unter anderem den gesamten Prozess von der Anlieferung bis zur Schlachtung. „Die Arbeit der Schlachthofmitarbeiter funktioniert im Großen und Ganzen sehr gut“, meint er. Die Betreiber würden Beratung in Anspruch nehmen, wissenschaftliche Erkenntnisse über das Verhalten der Tiere sind bei den jüngsten Neubauten berücksichtigt worden. Ein kritischer Punkt, auf den man sehr genau achtet, ist dem Landesveterinärdirektor zufolge die korrekte Betäubung: „Hier muss man im Falle des Falles eingreifen.“ Vermehrt ihre Weisungsbefugnis einsetzen müssten die Veterinäre vor allem dann, wenn es zu einem Personalwechsel kommt.

Der Faktor Mensch macht für Sebastian Bohrn-Mena, der das Tierschutzvolksbegehren und als Nachfolgeprojekt die Bürgerinitiative „oekoreich“ gestartet hat, den großen Unterschied: „Auch wenn das nichts entschuldigt, sollte man sich überlegen, wie die Mitarbeiter bezahlt werden. Wer würdevoll mit Tieren umgehen will, muss auch gut zu den Menschen sein.“ Der Druck, der auf dem gesamten System lastet, begünstigt Manches. Denn gearbeitet wird in den Großschlachthöfen im Akkord. Jede Sekunde zählt, um im harten Wettbewerb irgendwie mithalten zu können; auch in Österreich, wo man sich mit noch billigeren Angeboten aus irgendwo konfrontiert sieht. Dass Arbeiter beim tausendsten Stich der Woche irgendwann abstumpfen, liegt auf der Hand. Aus dem Lebewesen wird da leicht ein Ding, wie die jüngsten Aufdeckervideos belegen. „Es gibt aber kein Menschenrecht auf Hendlfleisch um drei Euro pro Kilo. Das entwertet die Arbeit vollständig“, so Bohrn-Mena, „den Tieren soll deswegen nicht in den letzten Stunden etwas angetan werden, was in ihrem ganzen Leben zuvor vermieden wurde.“

Bis vor einigen Jahren seien die Arbeiter an vielen Schlachtbändern tatsächlich unterbezahlt gewesen, räumt Thomas Reisinger ein. „Der Fachkräftemangel ist mittlerweile enorm. Jetzt wird kein einziger Mitarbeiter mehr nur nach Kollektivvertrag entlohnt.“ Reisinger ist im Management von Sonnberg Biofleisch tätig, einem Unternehmen, das von seinem Schwiegervater Manfred Huber gegründet wurde und unter anderem die Hofer-Marke „Zurück zum Ursprung“ mit Bioware beliefert. Die damals noch nicht so preissensible Nische hat es dem Quereinsteiger aus Unterweißenbach im Mühlviertel erlaubt, sich mehr Zeit pro Tier zu nehmen. Zu Tode gestreichelt wird das Vieh jedoch auch bei Sonnberg nicht. „Wir haben aber viel in bauliche Maßnahmen investiert. Rinder lieben es zum Beispiel, bergauf und vom Dunklen ins Helle zu gehen. In unseren Gängen gibt es keine rechten Winkel, die die Tiere ängstigen könnten.“ Dass man damit auf einem guten Weg sei, würden die pH-Werte im Fleisch als Anzeiger für Stress belegen, so Reisinger.

Weil es nichts zu verbergen gebe, hat man den Schlachthof „gläsern“ ausgeführt. Besucher können über Sichtfenster bei der Schlachtung von Rindern zuschauen. Die Mitarbeiter stehen damit wortwörtlich „in der Auslage“. Neben den Gästen werfen aber auch die Amtsveterinäre und zwei Tierschutzbeauftragte des Unternehmens ein Auge auf die Abläufe. „Das System an sich ist nahezu perfektioniert. Die Fehler kommen in erster Linie von den Menschen“, sagt Reisinger. Dagegen helfe nur „schulen, schulen und nochmals schulen“. Daneben brauche es aber auch eine gewisse Eigenverantwortung der Mitarbeiter. Immer und überall können auch die Kontrollorgane nicht sein. Sonnberg Biofleisch hat deshalb, wie offenkundig auch einige andere Schlachtunternehmen, selbst Kameras im Wartebereich installiert. „Anhand der Videos zeigen wir auch Negativbeispiele und Verbesserungspotential auf.“ Reisinger meint, dass er kein Problem damit hätte, wenn es auch von offizieller Seite solche strengen Kontrollen geben würde.

Für den in der Kritik stehenden steirischen Geflügelschlachthof hat die AMA-Marketing bereits derartige Filmaufnahmen angeordnet. Augenscheinlich könnte nun darüber hinaus sogar eine Erweiterung für den gesamten Sektor ins Haus stehen, wie die Antwort auf eine Anfrage von BLICK INS LAND vermuten lässt. „Die AMA-Marketing arbeitet mit Experten ein Konzept zur Umsetzung einer Videoüberwachung in besonders tierschutzrelevanten Bereichen des Schlachtprozesses aus. Dieses wird mit Vertretern der Schlachthöfe in den Tierkategorien Schwein, Rind und Geflügel in den nächsten Wochen besprochen und auf deren rasche Umsetzungsmöglichkeiten evaluiert“, heißt es darin. Statt den illegal montierten Kameras der Tierschützer wird demnach also „hochoffizielles“ Equipment aufgehängt.

Geschlachtet wird trotz aller Aufregung weiter werden. „Das Konsumverhalten wird sich nicht so schnell ändern“, meint Sebastian Bohrn-Mena, „Veganismus und Vegetarismus werden noch länger eine Nische bleiben.“ Aber man müsse sich die Rahmenbedingungen der Fleischproduktion anschauen. Dabei nimmt er den Handel in die Pflicht: „Bei Spar liegen Hendl von AIA aus Italien im Regal. Und dass Penny Tönnies-Frischfleisch vom Schwein verkauft, ist ein absoluter Tabubruch.“ Landesveterinärdirektor Hain glaubt nicht, dass man in Österreich etwas grundsätzlich anders machen muss: „Schön wird die Schlachtung nie sein. Jede zusätzliche Maßnahme zur Transparenz ist aber besser, als die Vorgänge rein dem Feld der Fantasie zu überlassen.“

biofleisch.biz

 

 

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