Gasthaus zum schlechten Gewissen

Das Bergpanorama war überwältigend, der Almabtrieb ein unvergessliches Erlebnis. Das Kalbsschnitzel ein Gedicht, zumal die Kühe ja praktisch beim Küchenfenster hineinmuhen. So behalten unzählige Gäste ihren Urlaub in den Alpen in Erinnerung.
 
Dass die Grundlage für das goldbraune Bröselgericht in Wahrheit aber aus Holland und nicht vom benachbarten Bauernhof gekommen ist, kann sich der durchschnittliche Gast in seinen kühnsten (Alb)-Träumen nicht vorstellen. Denn wo alles so stimmig zusammenpasst, muss es ja stimmen, dass die Rohstoffe direkt aus der Region kommen. Und dennoch ist es oftmals nicht so, wie die Zahlen der Vereinigung der Österreichischen Milchverarbeiter, VÖM, am Beispiel der Milch belegen. Zu Coronazeiten, als Hotels und Restaurants geschlossen waren, ist der Import ausländischer Milchprodukte um zehn Prozent zurückgegangen. Wie schwer es ist, mit heimischem Kalbfleisch einen Fuß auf den Boden zu bringen, können wiederum die österreichischen Rindervermarkter bestätigen, die versuchen eine nennenswerte Mast zu etablieren.
 
„Die österreichischen Tourismusbetriebe bieten insgesamt sehr hohe Standards an“, sagt Barbara Nessler. Alleine die Einkünfte können mit den Kosten dafür oft nicht mithalten. „4 Stern plus-Unterkünfte werden zum Preis von 3-Stern-Zimmern angeboten. Beim Frühstücksbuffet muss dann gespart werden.“ Nessler muss es wissen. Sie stammt von einem Gasthaus im Bregenzerwald ab und ist Tourismussprecherin der Grünen im Nationalrat. Zur Kostenreduktion kommen Milch, Fleisch und Eier dort, wo es für den Gast nicht sichtbar ist, dann eben aus dem Billigstangebot des Gastronomiegroßhändlers und damit nicht selten aus dem Ausland. Offen bleibt dabei das moralische Dilemma, dass die Landwirtschaft in vielen Regionen letztendlich der Hauptgrund dafür ist, dass überhaupt Touristen kommen. „Sie prägt das Landschaftsbild und schafft Identifikation. Die Leute machen die Augen zu und hören die Kuhglocken, wenn sie an Österreich denken“, so Nessler.
 
Ähnlich sieht es Sebastian Vitzthum. Er hat als Manager der Schwerpunkt Klima- und Energiemodellregion Zell am See – Kaprun ein Konzept für deren touristische Zukunft geschrieben. „Wer die Zusammenhänge nicht kennt, kann sich gar nicht vorstellen, dass das Fleisch nicht aus der Region kommt“, bestätigt er. Die Anzahl sensibler Gäste würde aber ebenso laufend steigen wie jene der Wirte, die bewusster einkaufen wollen. Deswegen will er Bauern und Gastronomen als Teil des Projektes besser vernetzen. Ganz so einfach ist das aber nicht: „Die Logistik ist eine riesige Herausforderung. Deshalb müssen beide Seiten wissen, was gerade gebraucht und was angeboten wird.“ Am Ostermontag können das tausende Eier sein, am Tag darauf nur noch einige wenige. Von einem Kleinerzeuger zum nächsten zu fahren, können sich auch nur wenige Spitzengastronomen leisten. „Einmannbetriebe werden das nicht schaffen. Zusätzlich gehen uns die Köche aus. Das hat zur Folge, dass mehr Convenience-Produkte angeboten werden, die zwangsläufig nicht mehr aus der Region kommen.“ Dennoch ist Vitzthum zuversichtlich, zumindest für den Pinzgau ein funktionierendes System aufbauen zu können.
 
Ein heikler Punkt ist die verpflichtende Herkunftskennzeichnung auf den Speisekarten der Gastronomie. Sie könnte ein Schlüssel zu mehr Regionalität sein, meinen viele. Wenn der Gast sieht, dass sein Schnitzel aus Holland kommt, wird er nicht mehr bei diesem Wirten einkehren, bis der seinen Einkauf ändert, so der Hoffnung. Ein aktuell im Ministerium von Konsumentenschutzminister Wolfgang Mückstein zur Weiterleitung an die Europäische Kommission liegender Entwurf sieht eine solche Verpflichtung aber nicht vor. „Diese ist im Regierungsübereinkommen mit den Grünen nicht festgehalten worden“, argumentiert Landwirtschafts- und Tourismusministerin Elisabeth Köstinger. Die ÖVP tritt daher derzeit dagegen auf, die Daumenschrauben im Restaurant und auf der Skihütte rasch anzuziehen und will stattdessen auf Freiwilligkeit setzen.
 
Köstinger befindet sich, wie viele Bauernbund-Politiker, allerdings in einer Zwickmühle. Einerseits ruft dieser zwar selbst immer offensiver nach einer verbesserten Herkunftsangabe. Andererseits ist der Druck der Wirtevertreter, ihre Klientel nicht nach den Corona-Wirren mit zusätzlichen Auflagen zu belasten, groß. „An der völligen Transparenz wird kein Weg vorbeiführen“, übt sich die Ministerin daher in Diplomatie, „sie darf aber auch kein Selbstzweck sein. Es müssen parallel auch Kontrollsysteme aufgebaut werden. Und es muss gelingen, dass als Folge auch der Produktpreis steigt, damit es nicht zu einer einseitigen Belastung wie einst bei der Allergenverordnung kommt.“ Ihre Partei will daher zunächst eine Herkunftspflicht in den Großküchen und in Kantinen umsetzen, bevor es ans Bohren der richtig harten Bretter geht.
 
Die Grünen sprechen sich hingegen schon jetzt klar für eine Verpflichtung auch im Wirtshaus aus. Minister Mückstein möchte das Papier deshalb so nicht einreichen. „Im Regierungsvertrag steht, dass die Herkunftskennzeichnung in der Gemeinschaftsverpflegung kommen soll und die Gastronomie gehört für uns eindeutig zu dieser“, bekräftigt Barbara Nessler die Forderung nach einer durchgängigen Regelung. Es mache keinen Sinn, einen Vorschlag ohne einheitliche Vorgaben nach Brüssel zu schicken, weil dieser wegen Ungleichbehandlung abgelehnt werden könnte. Eine der beiden Seiten wird sich in dem momentanen Patt aber bewegen müssen. „Wir hoffen, dass sich der Bauernbund innerhalb seiner eigenen Partei besser positionieren kann“, so die Tourismussprecherin. Denn letztlich würden jene Gastronomen, die heimisch einkaufen, von einer Auslobung ohnehin profitieren.
 
„Wir müssen einen Wettbewerbsausgleich innerhalb der Gastronomie schaffen. Wenn Ikea ein Schnitzel für 2,99 anbieten kann, dann wissen wir, dass wir in einem absurden System gelandet sind, das nicht gesund ist“, so die Grüne. Ganz aus der Verantwortung darf man jedoch auch die Landwirtschaft selbst nicht lassen. Ein Beispiel: Im Rahmen des Netzwerks Kulinarik der AMA Marketing versucht man seit geraumer Zeit, ähnlich wie in Zell am See geplant, direkte Verbindungen zwischen Bauern und Köchen zu knüpfen. Das Echo der Wirte ist dabei zufriedenstellend. „Es wollen aber viel mehr Gastronomen teilnehmen als Landwirte“, bestätigt Elisabeth Köstinger. Auf Deutsch: Es gibt zu wenige Produzenten, die die Nachfrage nach Regionalität überhaupt befriedigen wollen.

STEFAN NIMMERVOLL

Der Beitrag Gasthaus zum schlechten Gewissen erschien zuerst auf Blick ins Land.

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