„Es gibt keinen Baum ohne Wurzelsystem“
2021 wird zum Superwahljahr der Landwirtschaft. Gleich fünf Kammerwahlen stehen heuer auf dem demokratischen Terminkalender. STEFAN NIMMERVOLL sprach mit dem steirischen Landwirtschaftskammerpräsidenten TITSCHENBAUCHER über Herausforderungen und Forderungen des heimischen Agrarsektors.
Sie haben selber im Ennstal Ferienwohnungen. Wie hart trifft es sie, dass es aktuell nicht möglich ist Gäste zu empfangen?
Wir stehen auf mehreren Standbeinen: Milchwirtschaft, etwas Forstwirtschaft und eben Urlaub am Bauernhof. Insofern werden wir das hoffentlich gut bewältigen. Viele andere Betriebe sind aber durchaus stärker betroffen.
Die Gastronomie und die Hotellerie bekommen großzügige Entschädigungen für die Verdienstausgänge durch den Lockdown. Die Bauern als Vorlieferanten der Gastronomie schauen aber bisher durch die Finger. Muss da mehr kommen?
In der Landwirtschaft ist es vor allem für den Fleischbereich, aber auch für den Wein eine schwierige Situation. Deshalb fordern wir, dass es für die hauptbetroffenen Bereiche in der Landwirtschaft ähnliche Maßnahmen geben sollte. Und: Zusätzlich ein Maßnahmenbündel aus Absatzförderung, Marketinginitiativen sowie die Absenkung der Umsatzsteuer für Futtermittel.
Sie fordern vom Handel faire Preise zu bezahlen. Haben sie schon Rückmeldungen bekommen?
In Deutschland ist eine Handelskette in sehr positivem Sinn voran gegangen. Es wäre auch in Österreich absolut wünschenswert ein Signal in Richtung der Bauern zu senden. Gemeinsam können wir das Bewusstsein für regionalen Fleischkonsum stärken.
Neben Corona lastet auch die Afrikanische Schweinepest auf den Märkten. Wie gut ist die Schweinehochburg Steiermark vorbereitet?
Für den Falle des Falles haben wir aber uns in Abstimmung mit allen zuständigen Verbänden und Behörden verständigt, um die notwendigen Maßnahmen rasch setzen zu können.
Die Bundesregierung wird für die Errichtung von Ställen mit Vollspaltenböden bald keine Förderungen mehr vergeben. Wird diese Haltungsform damit bald Geschichte sein?
Investitionsentscheidungen sind Generationenentscheidungen. Daher brauchen wir die Sicherheit, dass das, was zum Zeitpunkt der Errichtung von Systemen und Haltungsformen Stand der Technik ist auch für die Dauer der Refinanzierung und Abschreibung rechtlich gewährleistet bleibt. Gemeinsam mit der Forschung wird es aber auch entsprechende Weiterentwicklungen bei den Haltungssystemen geben. Die Betriebe sind bereit, diesen Weg mitzugehen, dürfen sich aber auch erwarten, dass die Gesellschaft bereit ist, diesen Weg auch monetär mitzutragen.
Wie schwer tut sich ein Milchbauer aus dem Grünland wie Franz Titschenbacher in den intensiven Gebieten im Osten und Südosten des Bundeslandes bei Themen wie diesem Gehör zu finden?
Die Steiermark ist ein Bundesland mit einer großartigen Vielfalt. Das bringt auch fachliche, interessen- und agrarpolitische Herausforderungen mit sich. Wir haben aber auch diese großartige Vielfalt an engagierten Vertreterinnen und Vertretern in verschiedenen Regionen, Branchen und Sparten sowie fachlich versierte Experten, die die Interessen aufeinander abstimmen und in ständigem Meinungsaustausch sind.
Lässt sich dabei für die neue Programmperiode der GAP ein fairer Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen finden?
Der Grüne Bericht bildet die Vielfalt der heimischen Landwirtschaft entsprechend ab. Die Auswertungen daraus geben wesentliche Informationen her, um fachliche Entscheidungen mit Kennzahlen zu hinterlegen. In jedem Fall ist die Phase der Diskussionen immer wieder sehr spannend, weil jedes Bundesland und jede Sparte seine Interessen anmeldet. Am Ende des Tages ist es aber immer wieder gelungen, gemeinsame Lösungen zu finden.
Bedeutet ihr Verweis auf die Zahlen, dass es mehr Geld fürs Berggebiet geben muss?
Im benachteiligten Gebiet und im Berggebiet ist es besonders herausfordernd, die Strukturen für die Zukunft abzusichern. Gleichzeitig gilt es aber für alle Sparten und Regionen, das Einkommen über das bäuerliche Produkt abzusichern und insgesamt einen gemeinsam getragenen Ausgleich zu schaffen.
Soll es in der neuen GAP wieder eine Mutterkuhprämie geben?
Diese Diskussion haben wir mit Leidenschaft geführt. Das Maßnahmenbündel „Qplus Rind“ ist ein wesentliches Signal in die richtige Richtung, wenn auch nicht ganz das, wo wir hingearbeitet haben. Der Mutterkuhbereich ist dabei zumindest ebenso wie der Rindermast-Bereich umfasst, wie auch ein Ausbau der Inlandsproduktion beim Kalbfleisch und die Erstellung von ÖPUL-Maßnahmen bei der Weidehaltung und beim Tierwohl im Stall. Es ist vereinbart, dass dies nach einem Jahr evaluiert wird. Das ist eine Basis, um das Gespräch weiterzuführen.
Ihr Hof liegt in Rufweite zur HBLFA Raumberg-Gumpenstein. Wie viel von den digitalen Entwicklungen, die dort im Rahmen der „Innovation Farm“ betrieben werden, sieht man auch bei ihnen im Kuhstall?
Seit eineinhalb Jahren arbeiten wir mit dem Pansensensor, der gemeinsam mit Raumberg-Gumpenstein entwickelt worden ist. Die ersten Erfahrungen damit sind sehr ermutigend. Darüber hinaus kooperieren wir im Bereich Urlaub am Bauernhof seit geraumer Zeit mit verschiedenen Buchungsplattformen.
Muss die Landwirtschaft schneller digital werden?
Gerade das heurige Jahr hat gezeigt, wo die Herausforderungen sind. Zum Teil ist das eine Generationenfrage. Ich sehe an den eigenen Kindern, wie selbstverständlich die damit umgehen. Letztlich ist es jedenfalls nicht eine Frage der Betriebsgröße, sondern des Interesses. Daher müssen wir als Kammer die Bauern bei der Digitalisierung begleiten. Notwendig ist aber auch, dass die Infrastruktur dafür, wie zum Beispiel der Zugang zum Breitband, rasch zur Verfügung gestellt wird.
Sie sind auch Forstwirt. Die Steiermark war in den vergangenen beiden Jahren nicht so sehr vom Borkenkäfer betroffen. Ein Glück, nicht im Wald- oder Mühlviertel einen Betrieb zu haben?
Was den Borkenkäfer betrifft, derzeit wohl schon. Wir haben diesbezüglich aber auch schon schwierige Zeiten erlebt. Betroffen macht mich, wie in den letzten Jahren die Wertschöpfung von der Forstwirtschaft in andere Bereiche abgeflossen ist. Das Waldfondsgesetz ist deshalb ein wichtiges Signal in Richtung einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung und ein klares Bekenntnis zur stofflichen und energetischen Holznutzung.
Es stehen ja Bewirtschaftungseinschränkungen und Außer-Nutzung-Stellungen im Raum…
Das ist ein brennendes Thema. Wir werden uns mit aller Kraft für die aktive Holznutzung einsetzen.
Für einige Tage war der „Wutbauer“ Christian Bachler der bekannteste Landwirt Österreichs. Welche Erkenntnisse zieht ein Spitzenagrarier wie der Präsident der LK-Steiermark aus dem Geschehen?
Ich tue mir mit dem Begriff „Wut“ schwer. Mit Wut kann man keine konstruktiven Lösungen finden. Auf der persönlichen Ebene freue ich mich aber über das Zeichen der Solidarität und Unterstützung für Herrn Bachler. Themen wie Regionalität, qualitätsvolle Produktion, Eigenversorgung, aber auch Eigenverantwortung sind hohe Werte. Diese sind uns in der Landwirtschaftskammer sehr wichtig und werden tagtäglich von unzähligen Bäuerinnen und Bauern gelebt.
Haben sich Florian Klenk und Andreas Gabalier jetzt einen agrarischen Ehrentitel wie „Ökonomierat“ verdient, weil sie der Gesellschaft die wirtschaftliche Situation vieler Bauern so klar vor Augen geführt haben?
Der Berufstitel Ökonomierat wird an Persönlichkeiten verliehen, die sich über Jahrzehnte nachhaltig für unseren Berufsstand engagieren und einsetzen. Für den angesprochenen Betrieb ist das Ergebnis der Aktion sehr positiv. Das gönne ich ihm. Für die Gesamtheit kann es aber nicht das Rezept sein, sich mit Spendenaktionen über Wasser zu halten. Wir müssen insgesamt die Wertschöpfung über das Produkt, aber auch über agrarpolitische Rahmenbedingungen steigern. Da setzen wir als Interessenvertretung mit aller Leidenschaft und Kraft an.
Letztlich steht bei der ganzen Sache aber auch „das System“ mit Raiffeisen, der Landwirtschaftskammer und dem Bauernbund am Pranger.
Die Genossenschaften, die Kammern und der Bauernbund beweisen seit über 100 Jahren, dass sie solide Partner und wichtige Unterstützer der Bauernfamilien sind. Ein solidarisches System – regional verankert und föderal organisiert – ist absolut positiv, auch wenn manche es anders sehen. Ich möchte mir aber keinen Baum ohne Wurzelsystem und keinen Körper ohne Nervensystem vorstellen.
Also gehen Sie davon aus, dass das „System Bauernbund“ bei der Wahl in der steirischen Kammer gestärkt wird?
Das demokratische Wahlrecht und der Respekt vor den Wählern sind das höchste Gut. Gemeinsam ringen wir immer wieder sehr verantwortungsvoll um Antworten und Lösungen für unsere Bäuerinnen, Bauern und Grundbesitzer und stehen für Verlässlichkeit und Stabilität. In unserem bäuerlichen Sinn hoffe ich auf eine gute Ernte.
Der Beitrag „Es gibt keinen Baum ohne Wurzelsystem“ erschien zuerst auf Blick ins Land.