Bobby und die frommen Lämmer

Schafbauern in ganz Europa fürchten den Wolf wie der Teufel das Weihwasser. Der Herdenschutz mit speziellen Hunderassen könnte eine Lösung sein. Aber wie sozialverträglich sind die furchteinflößend bellenden Wächter? STEFAN NIMMERVOLL hat in Umbrien und in Kärnten gefragt.  

Aus altem Adel entstammt Gabriele Filippini, wie das herrschaftliche „Castello dei Tordi Monte“, das seiner Familie gehört, unbestritten belegt. Und dennoch ist der 35-jährige ein bodenständiger und leidenschaftlicher Schafbauer. Rund um die Burg weiden auf 30 Hektar Grünland und in 50 Hektar Wald 400 Tiere einer alten, sardischen Rasse. Im Sommer ist die Herde auf Bergweiden, wo der Landwirt mit einem mobilen Melkstand arbeitet. Da wie dort gibt es ein Problem: „Wir haben in der Region seit einigen Jahren den Wolf, zunächst Einzelexemplare und jetzt auch schon Rudel.“ In den Bergen, wo zäunen schwer möglich ist, wurden dem Schafhalter über die Jahre 90 Tiere gerissen.

Die Konsequenz, die der Italiener daraus gezogen hat, war die Anschaffung von acht Herdenschutzhunden der lokalen Rasse Pastore Abruzzese Maremmano. Beim schnellen Hinschauen sind diese mit ihrem weißen Fell kaum von ihren Schützlingen zu unterscheiden. „Bobby glaubt, dass er selber ein Schaf ist“, lacht der Bauer, „wenn es kalt ist, wärmt er sogar die Lämmer.“ Lammfromm geben sich die Hunde zunächst auch beim Besuch der Journalistengruppe, bis es im Gebüsch raschelt und der besagte Bobby, wie von der Tarantel gestochen, sein Repertoire zeigt. „Die Hunde attackieren nur Wölfe, keine Menschen“, beruhigt Filippini. „Außer wenn man sich vielleicht zu schnell den Lämmern nähert“, schränkt er ein. Ganz schafften es aber auch Bobby und seine sieben Gefährten nicht, Risse zu verhindern: „Statt acht verlieren wir jetzt nur mehr zwei Schafe pro Jahr.“

Ähnliches kann Martin Martin aus Kirchbach im Gailtal berichten. Bei ihm versieht der Kangal Pascha seinen Dienst. „Zwei Jahre hatten wir keine Verluste, heuer mussten auf der Wipfelalm wieder neun von 250 Schafen sterben, weil sie sich im Nebel in den Gräben verlaufen haben und schutzlos waren. Acht weitere blieben vermisst.“ Dem Schafbauern ist bewusst, dass ein einziger Hund, so eindrucksvoll er auch wirken mag, den Kampf mit einem Rudel hungriger Wölfe nicht aufnehmen kann. „Aber wenn er etwas wittert, steht man im Bett, einen solchen Wirbeln schlägt er.“ Der türkische Hirtenhund gleicht von der Größe her eher einem Kalb und frisst auch dementsprechend viel. Martin muss 1.600 Euro pro Jahr für das Futter und die Tierarztkoten für Pascha und den Border Collie Dixi einkalkulieren. Dabei hat der Kärntner zumindest nichts für seinen Herdenschutzhund bezahlen müssen. „Man hört ja von Summen von mehreren tausend Euro. Unser Tierarzt hat ihn vermittelt, weil der Vorbesitzer nicht mit ihm zurechtgekommen ist.“

Eine Tatsache, mit der Sissy Lippitz oft konfrontiert ist. Sie betreibt mit Secure Base in Frantschach eine Auffangstation für gestrandete Herdenschutzhunde mit behördlichen Gefährlichkeitseinstufungen und Sicherheitsauflagen, bei denen es bereits Vorfälle gab. Beim Rundgang kommt einem zuallererst das Wort „scharf“ in den Sinn. „Das sind sie nicht“, bricht Lippitz eine Lanze für ihre Schützlinge. „Sie sind einfach rassetypisch, nicht Monster und nicht Kuschelbär.“ Ihren Tieren würden der „Wille zu gefallen“ und die Unterwürfigkeit fehlen. Sie sind eigenständige Denker und Strategen. „Diese Rassen haben ganz andere Hormone als ein Labrador“, so Lippitz. Dementsprechend kann eine Begegnung mit einem Herdenschutzhund durchaus gefährlich werden „Die Feinde müssen eliminiert werden, egal ob das Raubtiere oder Viehdiebe sind. Ob das ein guter Ansatz ist in einer Region, die vom Tourismus geprägt ist, sollen andere beurteilen.“ Jedenfalls kommen rund 30 Prozent der Hunde, die bei Lippitz ein ziemlich freies Leben genießen dürfen, aus der Landwirtschaft. Andere wurden an Familien als vermeintlich harmlose Rasse fehlvermittelt oder von professionellen Organisationen im Ausland „gerettet“. „Rumänischen Hirten machen sich ein Geschäft daraus, dass sie ihre schlechteren Welpen um ein paar Lei an solche Gruppen verkaufen.“

Martin Martin hat mit dem Vorgänger von Pascha negative Erfahrungen gemacht. „Der war ein bissiger kleiner Teufel. Ihm beizubringen, dass er den Wolf bekämpfen, einen anderen Hund aber nicht zerreißen soll, war unmöglich.“ Eigentlich wollte er deshalb keinen Herdenschutzhund mehr, hat sich aber erweichen lassen, es mit dem Kangal zu probieren. Der ist handzahm und, laut seinem Bauern, ungefährlich. „Trotz der Sanftmütigkeit ist es doch eine Herausforderung, den Hund immer im Blick zu haben, da an der Südgrenze unseres Weidegebietes der Karnische Höhenwanderweg verläuft. Der Großteil der Wanderer ist mit Hunden unterwegs und lässt die Vierbeiner frei laufen. Da sind Konfrontationen unausweichlich.“ Acht Monate lang muss Pascha am Heimathof betreut, in Bewegung gehalten und gefüttert werden, damit er vier Monate lang auf der Alm im Einsatz sein kann. „Da braucht er jeden Tag eine Stunde Auslauf und betrachtet das ganze Dorf als sein Revier.“ Das alles lässt sich schwer auf die Mastlämmer aufschlagen. Weil er die nötige Zertifizierung nicht hat, fällt Martin auch um die 700 Euro AMA-Förderung um, die es für Herdenschutzhunde gibt.

Diese Maßnahme sieht Sissy Lippitz mehr als kritisch: „Es werden Tiere an Landwirte vermittelt, die gar nicht wissen, worauf sie sich einlassen. Wenn diese aber sehen, dass ihr Mensch zu schwach ist, eine Situation zu meistern, oder die Rahmenbedingungen nicht adäquat sind, übernehmen sie selbst das Kommando.“ In den Ursprungsregionen Osteuropas und Klein- und Zentralasiens gehen die Herdenschutzhunde mit den Hirten mit und arbeiten weitgehend autonom. „Sie werden in die Herde hineingeboren und können nicht auf einen Befehl warten, dass sie die Schafe beschützen sollen. Dort machen die Bewohner aber auch einen weiten Bogen um sie, weil sie wissen, wie riskant eine Begegnung sein kann.“ Bergwanderern aus der Stadt fehlt dieser Respekt. Lippitz unterteilt die Zucht in drei Linien: Erstens die zugängliche Showlinie, die auf Masse und Fell gezüchtet, trotz ihrer imposanten Erscheinungen aber nur bedingt im Herdenschutz einsetzbar ist. Zweitens die Militärlinie, meist Kaukasische Owtscharka, die heute noch im Militär oder Gefängnissen eingesetzt werden und drittens die Arbeitslinie die wirklich im Herdenschutz funktionieren, aber brandgefährlich sein können, wenn sie keinen erfahrenen Hirten zur Seite haben.

„Wenn Du da alleine hineingehst, greifen sie dich mit Ernsthaftigkeit an“, sagt die Kärntnerin unumwunden beim Blick in ein Gehege. Dieses ist doppelt gesichert und mit einer Zutrittsschleuse versehen. Sie ist sich bewusst, dass 90 Prozent ihrer Schützlinge nie wieder vermittelbar sein werden, auch wenn das das Ziel ist. Ihre Motivation ist altruistisch, sie will den Hunden, so schwierig sie sein mögen, das Einschläfern ersparen und mit der eigenen kleinen Schaf- und Ziegenherde ihre Instinkte befriedigen. „Wir haben 20 Plätze und eine lange Warteliste an Tieren, die anderswo in Sicherheitsverwahrung sitzen“, so Lippitz. Der Bedarf wird mit dem Trend nach Herdenschutzhunden in der Landwirtschaft noch steigen. „Es stellt sich die Frage, ob diese schönen und faszinierenden Tiere für unsere weichgespülte westliche Welt geeignet sind? Darüber wünsche ich mir eine ehrliche Diskussion, bevor man noch mehr solcher Hunde vermittelt. Wir müssen miteinander statt gegeneinander einen Konsens finden und zum Wohle aller konstruktive Lösungsansätze erarbeiten.“

www.securebase.eu

 

 

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