Ausgleichszahlungen an Preisobergrenzen koppeln?
Die Arbeiterkammer Wien hat sich mit ihrer Kritik an „hohen Gewinnen“ und „Überförderung“ der Landwirtschaft den Zorn der Bauernvertreter zugezogen. STEFAN NIMMERVOLL hat sich dazu mit der AK-Agrarexpertin MARIA BURGSTALLER ausgetauscht.
Zuletzt hat eine Aussage der AK-Präsidentin Renate Anderl für Aufregung unter Agrariern gesorgt. Können Sie als Landwirtschaftsexpertin der Arbeiterkammer nachvollziehen, warum die Milch um 50 Prozent teurer geworden ist?
Im Zeitraum Jänner 2021 bis Dezember 2022 sind die Rohmilchpreise in Österreich um 52,7 % gestiegen. Argumentiert wurde das mit hohen Futter- und Energiekosten. Tatsächlich sind die Preise den internationalen Börsen gefolgt. Es kam also zuerst die Preis-, dann die Kostensteigerung. Erst in Folge sind so gut wie alle Rohstoff- und Energiekosten für die Molkereien gestiegen.
Die Landwirtschaft argumentiert aber, dass der Gewinn deshalb nicht unbedingt mehr geworden ist.
Wer wieviel profitieren konnte, hängt davon ab, ob zum Beispiel Dünger und Diesel noch günstig eingekauft wurden. Oder ob Strom über die eigenen PV-Anlage bezogen wird und zusätzlich mit Gewinn verkauft werden kann. Auf der Einnahmenseite ist ausschlaggebend, ob zum Beispiel das Getreide zum Zeitpunkt der enormen Preisspitzen verkauft wurde oder bereits zum Erntezeitpunkt. Die hohen Ferkelpreise steigern die Einnahmen der Züchter, schmälen aber die Gewinne der Mäster. Es liegt daher auf der Hand, dass die Einkünfte sehr unterschiedlich stark gestiegen sind. Im Durchschnitt für alle Betriebe hat die Statistik Austria ein Einkommensplus von 25,6 % errechnet. Die für diese Berechnung zugrunde liegenden Daten stammen auch von Experten der Landwirtschaftskammer, sind daher jedenfalls seriös.
Wie dramatisch ist die Inflation für die Bevölkerung?
Die Lage ist sehr ernst. Für immer mehr Menschen werden lebenswichtige Güter unerschwinglich. Am schwersten trifft es jene, die kein Eigenheim haben, weil die Mietpreise durch die Indexanpassung enorm steigen. Österreich hat eine deutlich höhere Inflation als der Euroraum.
Jahrzehntelang ist der Anteil der Haushaltsausgaben für Lebensmittel stets zurückgegangen. Die Landwirtschaft hat Nahrungsmittel deshalb als „zu billig“ verstanden. Bekommen sie nicht jetzt wieder einen Schritt weit ihren „wahren Wert“ zurück?
Die Haushaltsausgaben für Lebensmittel liegen zwischen fünf und 20 Prozent, je nach Einkommen und abhängig davon, ob die Leute zu Hause essen oder auswärts. Für einen Generaldirektor ist die Teuerung kein Problem. Aber 17 Prozent der Bevölkerung waren bisher schon armutsgefährdet. Mittlerweile ist auch der Mittelstand von der Teuerung massiv betroffen. Wahrscheinlich sind auch landwirtschaftliche Haushalte nicht erfreut über hohe Haushaltsausgaben. Es ist also nicht der richtige Zeitpunkt, sich über teure Lebensmittel zu freuen.
Müssten die Menschen nicht auch wieder lernen, bewusster mit Nahrungsmitteln umzugehen, weniger wegzuwerfen und regionaler und saisonaler einzukaufen?
Gerade die junge Generation stellt den uneingeschränkten Konsum der letzten Jahrzehnte in Frage und verlangt echte Nachhaltigkeit, um die Klimakrise zu verhindern. Es gibt allerdings einen beträchtlichen Anteil an Agrarprodukten, der gar nicht auf dem Teller, sondern im Trog, im Tank und in der Industrie landen – bei Getreide liegt dieser Anteil sogar bei 80 Prozent. Der Umgang mit Agrarprodukten und Lebensmitteln muss in der gesamten Kette sorgsamer sein.
Was kann man gegen die hohen Lebensmittelpreise tun?
Wir brauchen dringend Maßnahmen, die die Inflation dämpfen. AK und ÖGB fordern bereits seit fast einem Jahr eine Antiteuerungskommission, die rasch und wirksam eingreifen kann. Die sinkenden Energiekosten müssen rasch weitergegeben werden. Übergewinne hätten verhindert werden können, wie dies in anderen Ländern der Fall war. Eine befristete Mehrwertsteuersenkung auf ausgewählte Lebensmittel, die tatsächlich bei den Konsumentinnen und Konsumenten ankommt, wäre sinnvoll.
Kommen die Entlastungsmaßnahmen für die Landwirtschaft wie geplant über die Produktpreise bei der Bevölkerung an?
Nein, die zusätzlichen Budgetmittel haben die Preise nicht eingebremst. Die Lebensmittelpreise sind weiter gestiegen. Entlastungsmaßnahmen bringen nichts, wenn in einer Branche die gestiegenen Kosten ohnehin durch höhere Einnahmen erwirtschaftet werden. Budgetmittel sollten nicht mit der Gießkanne, sondern zielführend ausgegeben werden.
Aber wären Lebensmittel ohne Ausgleichszahlungen überhaupt jemals so günstig geworden?
Wenn wir das Jahr 2022 betrachten, ist deutlich zu sehen, dass trotz gestiegener Fördergelder an den Agrarsektor die Preise für Lebensmittel nicht günstiger geworden, sondern enorm gestiegen sind. Wären Ausgleichszahlungen an Preisobergrenzen gekoppelt, würde das tatsächlich den Preisanstieg begrenzen.
Das SPÖ-regierte Burgenland strebt eine Bio-Wende an. Biologische Lebensmittel sind in der Herstellung aber teurer. Ist es nicht ein Widerspruch in sich, einerseits „günstiges“, andererseits aber „hochwertiges“ Essen zu wollen?
Preis und Qualität bei Lebensmitteln müssen kein Widerspruch sein. Der Preisunterschied zwischen Bio und konventionell hat sich im letzten Jahr verringert. Die Reichweite von Bio liegt nach Roll-AMA-Auswertung bei 98 %. Das hätten Kritiker vor einigen Jahren nicht für möglich gehalten.
Österreichs Landwirtschaft kann jedenfalls nicht zu Kosten produzieren, wie sie zum Beispiel in Südamerika möglich sind.
Die AK setzt sich seit Jahren engagiert für das EU-Lieferkettengesetz ein, dass genau darauf abzielt, den internationalen Handel gerechter zu machen, Standards weltweit zu verbessern und zu kontrollieren. Leider gibt es von Seiten der Wirtschaft großen Widerstand dagegen. Wir sagen auch nein zum Mercosur-Abkommen, weil zu befürchten ist, dass durch Billigimporte in die EU die Abholzung der Regenwälder voranschreitet und Arbeitskräfte ausgebeutet werden. Auch das Abkommen der International Labour Organization ist leider nicht ausreichend ratifiziert. Es gäbe also Möglichkeiten, den Handel ein Stück gerechter zu machen.
Wie soll man mit Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Standards in Österreich, in der EU und in Drittstaaten umgehen?
Wir haben bei Rindfleisch einen Selbstversorgungsgrad von 150 %, bei Brotgetreide von 249 % – das heißt jedes dritte Kilo Rindfleisch wird exportiert, der größte Teil des Brotgetreides wird im Ausland gebacken. Auch bei anderen wichtigen Erzeugnissen liegt der Selbstversorgungsgrad um die hundert Prozent oder darüber. Insgesamt ist der österreichische Agraraußenhandel nahezu ausgeglichen. Das deutet darauf hin, dass es um die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft nicht so schlecht bestellt ist. Höhere Standards können aber auch eine Chance sein. Dort, wo sie tatsächlich stimmen, sollten sie als solche ausgezeichnet werden. Bezüglich Verbesserung der EU-Standards ist leider kaum politischer Konsens zu erreichen. Da steht auch unverständlicherweise so mancher österreichische Politiker auf der Bremse.
Maria Burgstaller ist auf einem Bauernhof in Oberösterreich aufgewachsen und hat an der BOKU Agrarwissenschaften mit Schwerpunkt Agrarökonomie studiert. Sie ist Referentin in der Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien. Zuvor war sie in der Agrarverwaltung und als nationale Expertin in der DGagri tätig.
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