„Wir brauchen eine Tierwohlmilliarde“

Mehr Tierwohl soll die Schweinewirtschaft aus dem Kreuzfeuer der Kritik nehmen. Dass ausgerechnet jetzt höherpreisige Produkte schwächer nachgefragt werden, tut der Strategie keinen Abbruch, meint Styriabrid-Geschäftsführer RAIMUND TSCHIGGERL im Gespräch mit STEFAN NIMMERVOLL.

Blick ins Land: Mit dem Beschluss, dass die Schweinebranche schrittweise aus dem Vollspaltenboden aussteigen wird, gibt es eine klare Ansage, wohin die Reise grundsätzlich gehen wird. Wie erleichtert sind Sie darüber?

Raimund Tschiggerl: Planungssicherheit zu schaffen, war immer eines der wichtigsten Themen für die Landwirte. Das ist nur möglich, wenn man die Rahmenbedingungen klar absteckt. Darum bin ich froh, dass wir wissen, in welche Richtung wir uns bewegen sollen. Nur so kann man überhaupt über Investitionen nachdenken und den Rückstau auflösen. Die Styriabrid  war sehr aktiv im Gesetzgebungsprozess – wir haben gemeinsam mit unseren Praktikern an Lösungen gearbeitet, die tragbar sind.

Der Änderung des Tierschutzgesetzes sind massive Proteste von Tierrechtsaktivisten vorangegangen. In der Öffentlichkeit ist die Schweinehaltung dabei nicht gut dagestanden. Hat man eine Entwicklung, die ohnehin nicht zu vermeiden war, zu lange bekämpft?

Tschiggerl: Im Nachhinein kann man immer leicht sagen, was gut und was schlecht war. Die Styria­brid versucht, solche Programme schon seit 2000 am Markt zu etablieren. Wir haben damals schon das produziert, was heute den Arbeitstitel TW 100 trägt. Wir sind in der Vergangenheit immer wieder daran gescheitert, weil der Bauer nicht etwas produzieren kann, was wir dann nicht längerfristig absetzen können.

Warum sollte es dann jetzt funktionieren?

Tschiggerl: Weil es im öffentlichen Mainstream einen Meinungswechsel gibt. Diesen Weg haben auch die Tierrechtsaktivisten aufbereitet. Wir hoffen aber auch, dass in Zukunft in den Regalen nur mehr Schweinefleisch mit gleichen oder höheren Standards liegt, sonst wird immer wieder zu billigerem Fleisch gegriffen.

Ein Ziel ist, bis 2032 eine Million Schweine pro Jahr aus Tierwohl-Ställen zu beziehen. Wie viele Tiere sollen da jeweils aus welchen Haltungsformen stammen?

Tschiggerl: Meine Einschätzung ist, dass sich der Biobereich auf gleichem Niveau bewegen wird. Der Lebensmitteleinzelhandel geht ganz klar auf TW 100. Die TW 60-Schiene etabliert sich momentan eher im Gastrobereich und in der öffentlichen Beschaffung.

Bei der aktuellen Inflationsentwicklung kommen Premiumprodukte eher unter Druck. Recht glücklich erscheint der Startzeitpunkt nicht.

Tschiggerl: Das haben wir nicht steuern können. Es ist aber eine Ausnahmesituation, die hoffentlich bald wieder enden wird. Man darf deswegen nicht einen kompletten Strategiewechsel machen, sonst werden wir nie zu einer Planungssicherheit kommen.

In Deutschland werden Tierwohl-Verträge wieder gekündigt.

Tschiggerl: Das kann man nicht vergleichen. In Deutschland hat man geglaubt, dass man den Markt von heute auf morgen umwälzen muss, obwohl er dafür nicht bereit war. Österreich geht einen anderen Weg mit längerfristigen Zielen, über die man Tierwohl am Markt eintakten kann.

Die Verträge der Handelskette Spar werden aktuell für fünf Jahre angeboten. Besteht die Gefahr, dass der Bauer dann mit einem Tierwohlstall, aber ohne Abnehmer dasteht?

Tschiggerl: Ohne Abnehmer sicher nicht. Die Frage ist, zu welchem Preis ich meine Tierwohl-Schweine absetzen kann. In Deutschland war es auch die Strategie, eine Überproduktion zu erzielen, damit man die Aufschläge drücken und die Bauern finanziell quälen kann. Unsere Strategie ist ganz anders. Wir vertrauen darauf, dass es auch nach den fünf Jahren einen gemeinsamen Weg geben wird.

In welcher Geschwindigkeit soll der Einstieg in Österreich stattfinden?

Tschiggerl: Das ist momentan schwer abzuschätzen, weil die aktuelle Situation die Entwicklung bremst. Wir sehen, dass wir auch mit den bestehenden Tierwohlprogrammen Probleme haben. Wir suchen aber trotzdem Betriebe. Einen Stall errichtet man nicht von heute auf morgen.

Ein Schwein besteht nicht nur aus Edelteilen. Wo sollen denn all die Stücke hingehen, für die es keine Tierwohl-Zuschläge am Markt gibt?

Tschiggerl: Das gesamte Schwein zu vermarkten, ist eine hohe Kunst. Daran scheitern viele Markenprogramme. Wichtig wäre, dass die Industrie auch auf diesen Zug aufspringt. Wir haben hier sehr viele Angebote gemacht. Dort ist der Preiskampf aber noch einmal brutaler. Daher fordern wir eine Kennzeichnungspflicht. Alles andere ist fast grob fahrlässig.

Das heißt, es muss auch eine Tierwohl-Wurst geben?

Tschiggerl: Ja.

Tierwohl kostet Geld. Können die Bauern die Errichtung solcher neuer Haltungsformen mit den jetzt angebotenen Fördermitteln stemmen?

Tschiggerl: Die geplanten Förderhöhen sind viel zu gering, weil die Baukosten explodiert sind. Die Quadratmeter Stall kosten richtig Geld. Wenn die Gesellschaft über den Gesetzgeber höhere Standards fordert, muss sie sich auch an den Kosten beteiligen.

Wie viel müsste dafür veranschlagt werden?

Tschiggerl: Ein Tierwohlstall wird in etwa 1,5 Millionen Euro kosten, weil man in der Regel damit aus dem Dorf hinausgehen muss. Dieser Betrag muss auch in den anrechenbaren Kosten drinnen sein. Und wir müssen fast jeden Schweinestall umbauen. Meine Forderung ist daher eine Tierwohlmilliarde für den Schweinebereich.

Völlig neue Rahmenbedingungen  gibt es nicht nur in Österreich. In Deutschland hören Schweinebauern reihenweise auf. In den Niederlanden möchte die Regierung die Tierbestände stark reduzieren. Wird am Ende all dieser Entwicklungen ein völlig veränderter Schweinemarkt in Europa stehen?

Tschiggerl: Es wird sicher zu dramatischen Verschiebungen kommen. Das war aber auch in Vergangenheit so. Deutschland ist in den letzten 20 Jahren von 80 auf 120 Prozent Eigenversorgung gekommen. Jetzt geht es wieder in eine andere Richtung. Dafür baut Spanien stark auf. Die Entwicklung läuft da in einem Nord-Süd-Gefälle ab. Im Norden hat man mit der billigen Massenproduktion begonnen. Diese verlagert sich jetzt in den Süden, dafür befasst man sich im Norden mehr mit Tierschutz und Umwelt.

Mit der Erhöhung der Standards wird die Konkurrenzfähigkeit Österreichs am billigen Massenmarkt noch einmal geringer werden. Ist die Flucht in die Nische nicht ohnehin der einzige Ausweg für unsere kleinstrukturierte Landwirtschaft?  

Tschiggerl: Unser Ziel ist es, die Eigenversorgung bei rund einhundert Prozent zu halten. Es wird sicher in Zukunft weniger Fleisch gegessen, und wenn es verzehrt wird, soll es nachhaltiger produziert sein. Mit den Tierwohlprogrammen werden automatisch auf derselben Fläche weniger Schweine produziert werden. Um dabei das Einkommen zu sichern, werden wir den Preis für das Schweinefleisch erhöhen müssen. Nachdem sich Tierwohlfleisch nur ein Teil der Bevölkerung leisten kann oder will, wird auch in Zukunft eine Basisschiene von hoher Bedeutung sein.

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Agrarpolitik, BLICK INS LAND vor Ort