Schweinehalter zwischen Resignation und Aufbruch
Der Schweinewirtschaft in Österreich und Deutschland stehen einschneidende Veränderungen bevor. Hier wie dort kommen in den nächsten Jahren lange Zeit kritisch betrachtete Schritte, die den Sektor zukunftsfähig machen sollen.
Beim Verband Österreichischer Schweinebauern, VÖS, nimmt man das Wort „Vollspaltenboden“ nicht gern in den Mund. Denn für Obmann Walter Lederhilger geht es bei dem Konzept, das die Branche unter dem Titel „Tierwohl Schwein Österreich“ vorgelegt hat, um viel mehr als nur um die Beschaffenheit des Bodens. Bis 2030 soll es eine Mio. „Tierwohlschweine“, eine Steigerung von derzeit fünf auf 20 Prozent, geben. Ein neues, noch strengeres Modul innerhalb des AMA-Gütesiegels wird kommen. Es wird neben Stroheinstreu hundert Prozent mehr Platz und einen ständigen Zugang zum Auslauf bieten und das Kupieren der Schwänze und die Kastration ohne Narkose verbieten. Verpflichtend ist auch die Verfütterung von europäischem, gentechnikfreiem Futter. Auch die Anforderungen an das „normale“ AMA-Gütesiegel steigen. „Wir brauchen Perspektiven für die Zukunft, damit wir die Eigenversorgung weiterhin sicherstellen können“, sagt Lederhilger.
Und doch steht der Vollspaltenboden bei den Änderungen, die jüngst auf Antrag der Regierungsparteien im Nationalrat beschlossen wurden, im Vordergrund. Ab 2023 sind bei Um- und Neubauten von Schweinställen nur mehr Haltungssysteme mit eigenen Liegeflächen erlaubt. Vorbild dafür sind Tierwohlprogramme aus Dänemark, einem der wichtigsten Produzentenländer Europas. Der Ausstieg aus den Vollspalten ist damit eingeläutet und soll bis 2032 auch im AMA-Gütesiegel vollständig umgesetzt sein. Beim VÖS hofft man, mit den Konkretisierungen, was in Zukunft von den Bauern erwartet wird, den Investitionsstau auflösen zu können. Der bereitet Walter Lederhilger Kopfzerbrechen: „Um die Strukturen nach Ende der Nutzungsdauer zu erneuern, müssten jährlich 100 bis 120 Mio. Euro investiert werden. In der letzten Förderperiode wurde nicht einmal ein Drittel davon getätigt.“
Während die Schweinehaltung in Österreich ein Sorgenkind ist, hat sie sich in Deutschland bereits zum Krisenfall entwickelt. Die Preise sind dort nochmals niedriger, die Stimmung nochmals mieser. „So eine verquere Situation mit derart desaströsen Erlösen habe ich noch nie erlebt“, meint der Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschland, ISN, Torsten Staack. Zum überwiegenden Teil Corona, aber auch Afrikanische Schweinepest, der Trend zur fleischlosen Ernährung und der Wunsch nach mehr Tierwohl brechen vielen Betrieben das Genick. Mastschweine kosten pro Kilo statt zwei Euro vor knapp zwei Jahren nur noch 1,2 Euro. Gleichzeitig sind die Kosten, zum Beispiel für Futter, stark gestiegen. Die Landwirte kämpfen von Tag zu Tag, um die Liquidität zu sichern. Der Schweinebestand ist auf den niedrigsten Wert seit 1996 eingebrochen. 60 Prozent der Sauenhalter geben in einer Umfrage der ISN an, mit der Ferkelzucht aufhören zu wollen. „Es mangelt der Branche völlig an Perspektiven“, so Staack, „es läuft eine Redimensionierung des Sektors.“
Allerdings müsse diese begleitet werden, damit es nicht zu einem völligen Zusammenbruch kommt. „Wir brauchen eine Umstrukturierungs- und Zukunftsprämie zur Weiterentwicklung der Betriebe. Denn ohne Betonmischer wird es nicht gehen“, meint der ISN-Geschäftsführer. Wenn es mehr Tierwohl-Ställe geben soll, sind dafür auch Genehmigungen nötig. Bisher scheitert das aber oft an den Emissionen, die bei Außenklimaställen zu erwarten sind; eine Situation, die auch österreichischen Bauwerbern nicht unbekannt ist. Staack geht davon aus, dass sich die Schweinewirtschaft eher in jenen Gebieten halten kann, in denen es heute schon intensive Strukturen gibt. Das wird zwar weitere Diskussionen über die Dichte der Tierbestände in einzelnen Regionen mit sich bringen. „Wenn es in Ostdeutschland, wo mehr Platz wäre, aber keine Schlachthöfe gibt, wird es schwierig sein, dort etwas zu entwickeln.“
In Österreich ist man beim grundsätzlichen politischen Bekenntnis, dass die Schweinehaltung Unterstützung braucht, wenn sie sich entwickeln soll, schon weiter. Im „Pakt für mehr Tierwohl in der produzierenden Landwirtschaft“ stehen jährlich 120 Mio. Euro für Projekte zur Verfügung. Auch im neuen ÖPUL wird es entsprechende Module geben. Entscheidend ist aber auch hierzulande, dass Ställe überhaupt errichtet werden dürfen. „Die Genehmigungsverfahren müssen schneller gehen und die gesetzlichen Anforderungen zum Zeitpunkt der Investition müssen über die gesamte Nutzungsdauer gelten“, mahnt Walter Lederhilger. Entscheidend wird auch sein, woher die 50 Prozent an günstigerem Schweinefleisch stammen, die bisher nicht in Qualitätsprogrammen kommen. Produziert diese die boomenden spanische Schweineindustrie mit ihren niedrigeren Standards, ist weder den Bauern noch den Tieren geholfen. „Wir brauchen daher ein Bekenntnis zu österreichischem Schweinefleisch von allen Partnern entlang der Wertschöpfungskette, und eine umfassende Herkunftskennzeichnung, damit die Konsumenten bewusst einkaufen können“, pocht der VÖS. Derzeit höre man jedenfalls klare Signale, dass der Handel den Weg des AMA-Gütesiegels mitgehen wolle.
In Deutschland ist aktuell das Schlagwort „5D“ in aller Munde. Selbst Diskonter wie Aldi versprechen, künftig größtenteils nur mehr Schweine, die im Land geboren, aufgezogen, gemästet, geschlachtet und verarbeitet wurden, zu verkaufen. Für die Branche könnte das ein Rettungsanker sein. Auch Ideen wie eine Tierwohlabgabe oder eine Fleischsteuer werden ventiliert. Der erst seit wenigen Wochen im Amt befindliche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir wird hier seine Duftmarken setzen müssen. „Es darf keine Ramschpreise für Lebensmittel mehr geben“, war eine von dessen ersten Aussagen. Torsten Staack steht dem Vegetarier von den Grünen überraschend positiv gegenüber: „Mit ist es egal, was er privat isst oder, ob er von der Landwirtschaft Ahnung hat. Viel wichtiger ist, dass er der Brückenbauer ist, als der er gilt.“ Der Sektor habe sich in der Vergangenheit auch mit grünen Agrarministerin, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder Schleswig-Holstein arrangieren können. Vielleicht ist der Farbwechsel in Berlin letztlich sogar eine Chance, aus dem Klein-klein herauszukommen, mit dem man die Landwirte vor schmerzhaften Einschnitten schützen wollte, einen großen Wurf aber verhindert hat.
In Österreich ist die Neuaufstellung jedenfalls von gehörigen Geburtswehen begleitet worden. Die Branche hat sich lange mit Händen und Füßen gegen höhere Standards gewehrt, bis der Druck von außen und die Einsicht groß genug waren, dass es Veränderungen braucht, um die Akzeptanz der Bevölkerung nicht vollends zu verlieren. Jetzt hat man das Ruder aber herumgerissen und setzt sich selbst mit freiwilligen Mehrleistungen an die Spitze des Wandels. Walter Lederhilger: „Weiterentwicklung ist selbstverständlich. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Mit neuen Vermarktungsstrukturen wollen wir möglichst vielen Landwirten einen Umstieg auf höhere Haltungsstandards ermöglichen und gleichzeitig faire Aufschläge garantieren.“ Die Prozesse würden aber Zeit brauchen. Der VÖS-Obmann hofft nun auf Solidarität mit seinem Sektor: „Die gesellschaftlichen Erwartungen ändern sich rascher als die Landwirtschaft reagieren kann. Damit der Wandel gelingen kann, müssen alle Akteure mitwirken.“
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