Ordentlich schlampert

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Die von Umweltministerin Leonore Gewessler präsentierten Vorschläge zur Biodiversitätsstrategie lassen in der Landwirtschaft die Wogen hochgehen. Unverhältnismäßige Bewirtschaftungseinschränkungen werden befürchtet. STEFAN NIMMERVOLL sprach mit JOHANNES MAURER über Notwendigkeiten und Möglichkeiten.
Gibt es weniger Insekten als früher?
Ja, schon. Praktisch jede Studie belegt einen Rückgang zwischen 50 und 75 Prozent; und das bis ins Hochgebirge, wo gar keine Landwirtschaft mehr betrieben wird. Auch aus eigener Erfahrung auf meiner Landwirtschaft im Waldviertel sind die Schmetterlinge und Heuschrecken weniger geworden. Wenn wir in meiner Kindheit gemäht haben, ist alles gehüpft. Auch den Insektenschlag, den es früher auf Autos gegeben hat, merkt man fast nicht mehr.
Welchen Anteil daran hat die Landwirtschaft?
Das ist umstritten. Dass Insekten weniger werden, ist ein Prozess, der schon seit dem Beginn der Umstellung von Weide- auf Mähwirtschaft vor 200 Jahren läuft. Die Intensivierung spielt also sicher eine Rolle. Eine Heuschrecke schlüpft im Frühjahr und muss sich mehrmals häuten bis sie im Hochsommer geschlechtsreif ist. Je öfters gemäht wird, desto weniger Insekten überleben. Zusätzlich wurde vor 30 Jahren bei uns im Dorf ein Monat lang gemäht bis auch der Langsamste fertig war. Dadurch ist ein Mosaik von gemähten und ungemähten Flächen entstanden, in dem Insekten ausweichen konnten. Weiters fehlt die Vernetzung zwischen Schutzgebieten. In den einzelnen Inseln kommt es zu Inzuchteffekten, die dazu führen, dass Arten krankheitsanfälliger werden, wenn der genetische Austausch fehlt.
Inwiefern ist Bio denn da besser? Ein fünf Hektar großer Biomaisacker bietet ja kaum mehr Biodiversität als einer mit konventionellem Mais und eine fünfschnittige Biowiese ist auch nicht besonders artenreich.
So ist es. Der Trend geht auch in der Biolandwirtschaft auf häufiges Striegeln, um die Äcker unkrautfrei zu halten. In der Grünlandwirtschaft mähen die Biobauern oft intensiver, häufiger und genauer, weil sie auf das Futter auf der eigenen Fläche angewiesen sind. Ein konventioneller kann leichter Energie zukaufen.
Zumindest chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel fallen aber weg.
Der Pestizideinsatz ist sicher ein wichtiger Aspekt – vor allem die Neonicotoide. Es zeichnet sich immer klarer ab, dass diese große Auswirkungen auch über die eigentliche Anwendungsfläche hinaus haben. Sogar im Hochgebirge findet man Spuren davon.
Jahrzehntelang hat man sich darum bemüht, die Produktion mit Kommassierungen und Flurbereinigungen effizienter zu gestalten. Lässt sich die Entwicklung überhaupt umkehren?
Biodiversität zu fördern heißt nicht, dass ich deswegen die Bewirtschaftung behindern muss. Ein mehrjähriger Blühstreifen mit drei Metern Breite kann die Artenvielfalt positiv beeinflussen ohne dass es zu einer großen Arbeitserschwernis kommt.
Weniger oft zu mähen wird für viele Bauern auch nicht möglich sein.
Großflächig wieder auf zweischnittige Wiesen umzustellen, ist illusorisch. Aber dafür ist zum Beispiel der aGroßflächig bgestufte Wiesenbau eine gute Variante.
Sie raten Bauern „schlampert“ zu sein. Ein „schlamperter Bauer“ war bisher selten erfolgreich.
Im Waldviertel gibt es den Spruch: „Wo der Holler im Hof wächst, geht es nicht mehr lange.“ Schlampigkeit war ein Zeichen von Überforderung und die Vorstufe zum „Abhausen“.Das hat sich geändert. Heute sind die großen Betriebe schlampig, weil sie nicht mehr die Zeit haben genau zu mähen. Ecken, die mit dem Mähwerk nicht schnell gehen, fallen heraus. Dann gibt es auch noch jene Bauern, die ganz bewusst schlampert und trotzdem sehr erfolgreich sind. Das Schlamperte hat sich dort von etwas Unbeabsichtigten zu etwas Beabsichtigten gedreht, um die Biodiversität zu fördern.
Sie betreuen den Ergebnisorientierten Maßnahmenplan im Rahmen des ÖPUL. Dabei werden konkrete Naturschutzziele gemeinsam mit Landwirten umgesetzt. Wie darf man sich das vorstellen?
Für besonders interessante Biotope gibt es bei der Maßnahme „Wertvolle Flächen“ Auflagen, wie zum Beispiel erst ab dem 1. Juli zu mähen. Bisher ist ein Kartierer gekommen und hat den Bauern Vorschriften gemacht. Das hat zu viel Unmut geführt, weil die sich zurecht entmündigt gefühlt haben. Wir drehen das um und sehen die Bauern als Experten der Landbewirtschaftung. Wir vereinbaren nur gemeinsam ein Ziel, beispielsweise, dass eine Deckung mit einer gewissen Pflanze da sein muss. Die Bauern haben dann grundsätzlich freie Hand, wie sie das Ziel erreichen. Wenn sie dann in einem Jahr schon Anfang Juni mähen, weil sie ein Herbstzeitlosenproblem haben oder weil sich die Fläche zu üppig entwickelt ist das genauso möglich, wie in einzelnen Jahren zu düngen, wenn es notwendig ist.
Wie viele Bauern machen da mit?
Derzeit haben sich rund 150 Betriebe angemeldet. Die meisten Flächen sind tatsächlich aus Naturschutzsicht besser geworden und die Bauern viel zufriedener und fühlen sich wertgeschätzt.
Ist die Abgeltung für Biodiversitätsmaßnahmen über das ÖPUL ausreichend?
Für viele Flächen im benachteiligten Gebiet ist es durchaus ausreichend und für viele Betriebe dort ein wichtiges Standbein. Schwierigkeiten haben wir in intensiv genutzten Bereichen. Für einen Maisbauern in der Steiermark oder einen Milchbauern im Flachgau sind die Prämien zu gering. Diese müssen einen gewissen Flächenertrag erreichen, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein.
Biodiversitätsaufbau ist also ein Thema der benachteiligten Gebiete?
Primär werden zuerst Grenzlagen und nicht Hochertragsflächen für Biodiversitätsmaßnahmen interessant sein, selbst wenn es sogar dort betriebswirtschaftlich oft besser wäre, mit weniger Leistung zu fahren. Wieder umzustellen, wenn ich meinen Betrieb auf eine gewisse Wirtschaftsweise ausgelegt habe, ist aber schwierig. Wenn ich auf Schulden einen Milchviehstall gebaut habe und mit einer gewissen Stückzahl und Milchmenge kalkuliert habe, tue ich mir schwer, extensiver zu produzieren.
Das muss auch erst in den Köpfen ankommen.
Die Denkweise ist immer noch sehr auf Maximalertrag orientiert und wird so noch in vielen landwirtschaftlichen Fachschulen unterrichtet. Eine Lehrerin hat mir einmal gesagt, dass die Schüler in der ersten Klasse noch für Umweltthemen zugänglich sind, in der dritten aber nicht mehr. Dazwischen liegen drei Jahre Unterricht in der Optimierung der Produktion. Da bleibt kein Raum mehr für andere Sichtweisen. Deshalb brauchen wir ein Umdenken in der Ausbildung.
Letztlich könnte mehr Biodiversität aber auch über den Markt abgegolten werden, oder?
Die Produktpreise für die Bauern müssen steigen. Dafür muss es gelingen, mit Initiativen am Markt durchzukommen. Bei der Marke Reine Lungau der Salzburg Milch hat man zum Beispiel versucht nachhaltiger zu wirtschaften. Kurz ist es gelungen, das österreichweit zu positionieren. Sehr bald wurde sie aber wieder ausgelistet.
Österreich muss demnächst Strategiepläne zur neuen Gemeinsamen Agrarpolitik abliefern. Was sollte da drinnen stehen?
Es muss allen Bauern mit durchschnittlicher Flächengröße und Ertragsleistung möglich sein, zu überleben. Zehn verschiedene Betriebe auf einer gewissen Fläche bringen automatisch eine höhere Vielfalt als nur zwei. Außerdem finden sich damit mehr Bauern, die bereit sind sich für Biodiversität einzusetzen.
Johannes Maurer ist gelernter Landwirt und studierter Biologe und Landschaftsökologe. Er ist Obmann des Vereins thema:natur und bewirtschaftet einen Bauernhof in Weitra. Der Verein versteht sich als Kommunikationsschnittstelle zwischen einzelnen Nutzergruppen und will den Dialog zwischen Naturschutzgruppen und Bauern fördern.
themanatur.eu

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