Oh Tannenbaum, wie welk sind Deine Blätter

Die geplanten radikalen Einschränkungen für die Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln in sensiblen Gebieten schlagen hohe Wellen. Besonders betroffen wäre der Jauerling, wo das Herz der heimischen Christbaumproduktion schlägt.

Harter Tobak war es, was die Europäische Kommission im Juli in ihrem Vorschlag zur Sustainable Use Regulation, SUR, veröffentlicht hat. Darin wurde ein Totalverbot des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in „sensiblen Gebieten“ zur Disposition gestellt. Damit soll unter anderem das generell ausgegeben Ziel, den Einsatz in der EU um 50 Prozent zu reduzieren, leichter erreichbar werden. Betroffen davon wären nicht nur toxische Keulen aus dem Chemiekoffer gewesen, sondern auch biologische Alternativen. Ein Blick auf die Landkarte Europas zeigt die Brisanz dieses Ansinnens: In Österreich fallen rund 20 Prozent der Agrarflächen in die Definition eines „sensiblen Gebietes“, in Deutschland ein Viertel und im so produktionsstarken Dänemark 98 Prozent.

Nach einer Phase, in der das Papier zunächst nur in Fachkreisen für ungläubiges Staunen gesorgt hatte, sickert das Wissen um die Tragweite nun auch auf die Höfe durch. Zum Beispiel bei Karl und Johannes Sommer aus Maria Laach am Jauerling. Die beiden – Vater und Sohn – bewirtschaften neben einem biologisch zertifizierten Ackerbaubetrieb mit Mutterkuhhaltung auch 28 Hektar mit konventionellen Nordmanntannen und Blaufichten. Zusätzlich werden auch Bäume von anderen Bauern gehandelt und auf Verkaufsständen in Wien und St. Pölten und über Baumärkte vermarktet. „Der Jauerling ist mit der Donaunähe und seinem Urgesteinsboden optimal für die Kulturen“, erklärt Johannes Sommer, „von 2 Mio. Weihnachtsbäume, die in Österreich aufgestellt werden, kommen 400.000 von hier. Es gibt in der Gegend keine fünf Landwirte, die keine Christbäume machen.“

Zugleich liegt die Region rund um den fast 1.000 Meter hohen Berg im südlichen Waldviertel aber auch im Europaschutzgebiet Wachau-Jauerling, in dem man vor allem die vielfältige Vogelwelt erhalten will. Ein Chemieverbot würde den Sektor also voll treffen. „Wir mähen zwischen den Reihen und spritzen unter den Bäumen, weil dort sonst Beschädigungen auftreten würden. Auch gegen die Tannentrieblaus müssen wir Pflanzenschutz betreiben“, sagt Karl Sommer. Die steigenden Temperaturen werden den Schädlingsdruck künftig weiter erhöhen. Auch seien die Konsumenten, was die Optik betrifft, sehr anspruchsvoll geworden. „Was vor 25 Jahren ein tadelloser Christbaum war, ist heute dritte Wahl.“ Daher ist der Markt für aufwändig gezogene biologische Bäume mit unter zwei Prozent verschwindend gering. Zudem ist man auch dabei auf zulassungspflichtige Pflanzenschutzmittel wie Neem-Öl angewiesen. „Wir brauchen dringend Forschungsprojekte, um alternative Methoden und Wirkstoffe entwickeln zu können“, fordert Sommer Begleitmaßnahmen zu etwaigen Einschränkungen.

Was genau kommen wird, ist noch offen. „Viele Mitgliedsstaaten haben aber erkannt, dass dem Vorschlag der Kommission die Praxistauglichkeit fehlt und Druck auf Abänderungen gemacht“, meint der EU-Abgeordnete Alexander Bernhuber, der den Themenkomplex für die Europäische Volkspartei maßgeblich mitverhandelt. Auch aus dem Parlament kamen ablehnende Stellungnahmen. Sogar die Grüne Berichterstatterin für die Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, Sarah Wiener, räumte ein, dass der Vorschlag so nicht umsetzbar sei. Zuletzt ließ die EU-Kommission daher ein sogenanntes Non-Paper als inoffizielles Dokument durchsickern, laut dem in sensiblen Gebieten doch biologische Mittel und solche mit niedrigem Risiko zuzulassen werden könnten. Das stößt nun jedoch bei den Verfechtern einer strengen Auslegung auf Ablehnung. Wiener: „Die Kommission macht eine Hundertachtziggradwende. Das ist enttäuschend und ein fatales Signal.“ Die „weniger risikobehafteten Pestizide“ müssten aus dem Text wieder entfernt werden. Auch einige relevante Mitgliedsländer scheinen in diese Richtung zu tendieren. Konkret würde das bedeuten, dass in sensiblen Gebieten nur mehr biologische Landwirtschaft praktikabel wäre.

Das politische Spiel zwischen Kommission, Parlament und Rat steht aber erst ganz am Anfang. „Der Prozess wird noch mindestens ein Jahr dauern und frühestens Anfang 2024 abgeschlossen sein“, glaubt EU-Kenner Bernhuber. Vor 2025 wird es also zu keiner Umsetzung kommen. Zuvor müsse es jedenfalls zu einer ergänzenden Folgenabschätzung kommen. „Gerade in Zeiten, in denen die Versorgungssicherheit in den Fokus gerückt ist, ist ein voller Werkzeugkoffer mit Betriebsmitteln notwendig. Pauschale Reduktionsziele mit plumpen Rechnungen auf Basis vager Daten negieren, was in den letzten Monaten geopolitisch geschehen ist.“ Ein Produktionsrückgang von 15 Prozent und eine Steigerung der Importe als Folge der Green Deal-Ziele sei nicht zu akzeptieren.

„Wir brauchen auch die konventionelle Produktion“, pflichtet Biobauer Karl Sommer bei. Gerade bei den Christbäumen würden in den nächsten Jahren europaweit Umbrüche anstehen. „In Polen wurden riesige Plantagen gepflanzt, die jetzt in wirtschaftlichen Problemen sind und zum Teil unter Bankenaufsicht stehen. In Dänemark haben Jugendliche kein Interesse an 30 Hektar großen Anlagen und fräsen sie, um wieder Getreide anzubauen.“ Sommer geht davon aus, dass die Produktion am Kontinent um 40 Prozent zurückgehen wird. Das ist für den Jauerling eine Chance. Johannes Sommer glaubt, dass seine Generation sie nützen würde: „In Maria Laach liegen hundert Hektar Grünland brach, die niemand kaufen oder pachten will. Sie wären aber optimal für Christbäume.“ Damit sich dafür jemand findet, braucht es aber stabile Rahmenbedingungen und keine pauschalen Verbote.

STEFAN NIMMERVOLL

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