„Noch keine Abschätzung zu Rückforderungen“

Die Weideverpflichung fürs Biovieh, die drohende Schließung einer Zuckerfabrik und die Rückkehr der Wölfe: Auf ELISABETH KÖSTINGER warten aktuell einige offene Baustellen. STEFAN NIMMERVOLL ist diese mit der Landwirtschaftsministerin durchgegangen.
Das Jahr 2020 wird uns allen als das Coronavirus-Jahr in Erinnerung bleiben. Wie sieht Ihre agrarische Bilanz über ein halbes Jahr Covid-19 aus?
Sehr durchwachsen. Wir haben auch in der Landwirtschaft massive Einbrüche verzeichnet. Speziell das Wegfallen von Gastronomie und Hotellerie war spürbar. Auf der anderen Seite hat es aber auch sichtbar mehr Bewusstsein für die Lebensmittelproduktion bei den Konsumenten gegeben. Die Frage, wo und wie die Produkte erzeugt werden, ist präsenter geworden.
Und politisch?
Wir haben die Lebensmittelbewirtschaftung und –bevorratung sehr gut zustande gebracht. Trotz der Hamsterkäufe waren die Produkte immer dort, wo sie gebraucht wurden. Auch die Plattform „dielebensmittelhelfer.at“ hat mit über 4.500 Vermittlungen ihren Teil dazu beigetragen. Speziell kleinen und mittleren Betrieben hat die Plattform geholfen zu Arbeitskräften zu kommen. Bei den großen Betrieben hat sich gezeigt, dass es die Schlüsselarbeitskräfte braucht, die schon seit Jahren kommen. Auch dafür konnten wir immer wieder Lösungen finden und so die angespannte Situation entlasten.
Entlastung ist ein gutes Stichwort. Das Entlastungspaket wurde bereits unter türkis-blau paktiert. Wird den Bauern da nicht alter Wein in neuen Schläuchen verkauft?
Nein. In den Vorjahren haben wir Entlastungen in der Höhe von 70 Mio. Euro bereits beschlossen – das ist richtig. Die zusätzlichen 50 Mio. Euro aus dem Regierungsprogramm werden jetzt aber vorgezogen und sogar rückwirkend ab 1.1.2020 umgesetzt. Das ist neu.
Sind die 350 Mio. Euro für die Forstwirtschaft als Kompensation dafür zu verstehen, dass das angekündigte Importverbot für ausländisches Schafholz doch nicht umsetzbar war?
Die Forderung danach war berechtigt. Ein Importverbot war und ist aber EU-rechtlich nicht umsetzbar. Daher ist es um einiges besser, das Konjunkturpaket zu nutzen, um in die Forstwirtschaft zu investieren.
2022 soll die ökologische Steuerreform kommen. Kann die Landwirtschaft davon profitieren?
Ich kämpfe für Klimazölle, mit denen weit gereiste Lebensmittel belegt werden, um die massive Schieflage bei den Transportkosten auszugleichen. Regionale Produkte werden damit begünstigt. Dieser Regionalbonus kann für unsere Bauern eine Chance bringen.
Umweltministerin Leonore Gewessler möchte, dass die Landwirtschaft rasch aus der fossilen Energie aussteigt. Sind Dieseltraktoren damit bald Geschichte?
Das wird noch länger dauern. Elektrische Maschinen, die auch die Kraft auf den Boden bringen, sind noch nicht verfügbar. Wasserstoff und Biogas sind schon möglich, aber noch sehr teuer. Zudem ist die Lebensdauer von Traktoren eine Generationenfrage. Deshalb weise ich in der Taskforce für die ökologische Steuerreform mit dem Finanz- und dem Klimaministerium immer auf die spezielle Situation der Land- und Forstwirtschaft hin. Langfristig haben wir aber ganz viele Möglichkeiten, um unsere Treibstoffe selbst zu produzieren. Holzgas und Holzdiesel sind Antworten um klimaneutral zu werden.
Die Agrana hat angekündigt die Zuckerfabrik in Leopoldsdorf zu schließen, falls nicht bis November 38.000 Hektar kontrahiert werden. Ist das nicht Erpressung?
In den letzten Jahren ist von Seiten der Agrana sehr wenig investiert worden. Wir erwarten uns da mehr Engagement, um die Eigenversorgung sicherzustellen.
Die Bauern fordern wirksame Pflanzenschutzmittel und sehen die Politik im Zugzwang. Haben Sie die Produzenten im Stich gelassen?
Wir haben in Österreich trotz des EU-Verbotes eine Notfallzulassung für Neonicotionoide. Italien, Deutschland und Frankreich haben sie nicht. Den Pflanzenschutz hat es in Österreich also gegeben. Ein größeres Problem ist sicher der fehlende Niederschlag.
Werden Sie den Wunsch nach zusätzlichen Zahlungen aus ihrem Haus als Zuckerl für den Rübenanbau erfüllen?
Jeder wird einen Beitrag leisten müssen. Zuvor geht es aber darum, sich zusammenzusetzen und gemeinsam über Lösungen zu diskutieren.
Zuletzt hat die EU-Kommission das österreichische Glyphosat-Verbot gekippt.
Damit ist unsere Rechtsauffassung bestätigt worden, dass ein nationaler Alleingang nicht möglich ist.
Ist es denkbar, dass Österreich ein solches Verbot nun in einem rechtlich korrekten Rahmen einbringt?
Die EU-Kommission hat diese Möglichkeit ausgeschlossen.
Wenn Sie 2022 zur Abstimmung gebeten werden, für oder gegen eine europaweite Verlängerung von Glyphosat zu stimmen?
Dann wird meine Antwort von der wissenschaftlichen Bewertung abhängen.
In den letzten Wochen sind Sie recht intensiv von Aktivisten des VGT, die ein Verbot von Vollspaltenböden in der Schweinehaltung erreichen wollen, begleitet worden. Wie belastend ist das?
Die Methoden des VGT sind sicher oft an der Grenze zum Kriminellen. Die Bäuerinnen und Bauern können ein Lied davon singen, wie es ist, derartig massiv angegriffen zu werden. Gerade jetzt haben wir durch den Tönnies-Skandal in Deutschland gesehen, wie sehr wir von der Produktion in unseren Nachbarstaaten abhängen und wie sehr die Konsumenten nach wie vor nach dem Preis entscheiden. Ich weiß nicht, was daran besser sein soll, wenn wir die österreichische Produktion einstellen und das Fleisch dann erst recht wieder von irgendwo in der Welt importiert. Deswegen werde ich diese ungerechtfertigten Proteste aushalten.
Dennoch braucht es wohl Änderungen in der Fleischbranche. Können Sie sich eine Tierwohlabgabe, wie sie ihre Amtskollegin Julia Klöckner in Deutschland plant, vorstellen?
Steuererhöhungen bringen den Bauern nichts. Ich sehe einen viel stärkeren Hebel über den Markt. Das ist der Grund, warum ich dafür kämpfe, dass wir dort, wo die öffentliche Hand eingreift, auf regionale Qualität setzen.
Tirols Landeshauptmann Günther Platter hat mit dem Wunsch, Wölfe einfacher abschießen zu dürfen, für Aufsehen gesorgt. Hat er dabei ihre Unterstützung?
Der Wolf ist ein Raubtier. Wenn wir in den nächsten Jahrzehnten unsere Almwirtschaft erhalten wollen, dann müssen Problemwölfe entnommen werden.
Ein zweiter Druckpunkt ist das Schadenersatzurteil nach dem Tod einer Wanderin. Verstehen Sie Almbauern, die ihre Wege sperren, um kein Risiko eizugehen?
Ja, weil das Verhalten von Wanderern und Gästen auf den Almen manchmal wirklich sprachlos macht. Ich habe selber erlebt, dass Wanderer Kinder auf die Kühe gehoben und Fotos gemacht haben. Der Bezug zum Weidetier ist vollkommen verloren gegangen. Als Reaktion darauf haben wir im Vorjahr die Eigenverantwortung gesetzlich verankert. Ein Almurteil wie in Tirol ist damit nicht mehr möglich.
Noch eine Frage zur Weide: Da hängen viele Biobetriebe in der Luft. Wann wird man wissen, wie es mit der Weideverpflichtung weitergehen wird?
Es ist zu früh, um das Urteil der EU-Kommission zu akzeptieren. Darum werden wir nochmals alle Hebel in Bewegung setzen, um zu zeigen, dass es speziell in Österreich aufgrund der Lage und der Struktur vieler Betrieben nicht möglich ist, die hohen Weideauflagen zu erfüllen.
Das heißt, es wird noch dauern, bis es für die betroffenen Bauern Klarheit geben wird?
Die Alternative wäre, dass wir nicht mehr für eine österreichische Lösung kämpfen und viele Betriebe aufhören müssten. Das ist für mich keine Option.
Sollte es zu Rückforderungen seitens der EU kommen, werden diese aus dem Agrarbudget kommen müssen. Nun befürchtet die Bio-Branche, dass ihr diese Mittel anderswo abgezogen werden. Zurecht?
Dafür werden wir Lösungen finden müssen. Zurzeit haben wir aber noch keine Abschätzungen bekommen, wie viel uns da an Rückforderungen droht.
Das Agrarbudget der EU fällt überraschenderweise doch höher als erwartet aus. Seitens der Bergbauern wurde schon Anspruch auf eine Erhöhung der Ausgleichszulage erhoben.
Ich möchte ungern das Fell verteilen, bevor der Bär endgültig erlegt ist. Jedenfalls müssen wir die Landwirtschaft als Ganzes sehen und für alle Bereiche und Betriebe Möglichkeiten finden, um sie zukunftsfähig zu halten.
Insgesamt hört sich der jetzige Vorschlag zum Green Deal viel eher nach der österreichischen Ausrichtung der Landwirtschaft an. Wieso sind Sie dennoch skeptisch?
Ideen wie eine Reduktion der Pflanzenschutzmittel um 50 Prozent bedürfen einer Folgenabschätzung. Es kann nicht sein, dass wir die Produktion zurückfahren und dann billige Produkte importieren, bei denen es egal ist, welche Mittel eingesetzt werden. Und eine Farm to Fork-Strategie ohne verpflichtende Herkunftskennzeichnung ist für mich unbrauchbar.
Ist es nicht ärgerlich, dass dabei gerade aus manchen Flügeln der eigenen Partei Gegenwind kommt?
Wir haben die Herkunftskennzeichnung im Regierungsprogramm vereinbart. Ich erwarte mir, dass Gesundheitsminister Anschober das 2021 umsetzt.
Bei vielen Produkten, von der Milch übers Rindfleisch bis zum Wein, sind Österreichs Landwirte vom Export abhängig. Betreiben wir nicht ein bisschen Rosinenpickerei, wenn wir von den Österreichern fordern, möglichst heimisch zu kaufen, im Ausland aber unsere Produkte anbieten wollen?
Dass wir in einem offenen Europa mit einem freien Warenverkehr leben, steht außer Frage. Selbstversorgung heißt nicht, dass wir uns komplett von Märkten abschotten. Wenn beim Import aber zu geringsten Auflagen produziert wird und die Märkte damit überschwemmt werden, ist das nicht in Ordnung. Handelsabkommen auf dem Rücken der Bauern sind inakzeptabel. Deswegen haben wir uns klar gegen Mercosur ausgesprochen.

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