Ein Million vom Bürgermeister
Was tun, wenn der Bürgermeister eine Million Euro für die Landwirtschaft in seiner Kommune zur Verfügung stellen will? Vor dieser Frage standen die Landwirte von Pfaffenhofen an der Ilm in Bayern. Entstanden ist eine starke „Bodenallianz“ zwischen den Bauern und der Kommune.
Pfaffenhofen ist eine Kreisstadt mit 27.000 Einwohner, etwa eine halbe Stunde nördlich von München im Speckgürtel der bayerischen Metropole gelegen. Ihre Einwohnerzahl hat sich in den vergangenen 50 Jahren mehr als verdoppelt. Die „Stoderer“ haben dementsprechend wenig Bezug zur Landwirtschaft. Bürgermeister ist seit 2008 Thomas Herker von der SPD. Trotz der raschen Expansion gibt es im Gemeindegebiet noch 180 landwirtschaftliche Betriebe, die rund 4.700 Hektar bewirtschaften. Die Stadt liegt mitten in der bekannten Hallertau, dem größten geschlossenen Hopfenanbaugebiet Europas. 790 Hektar sind daher mit Hopfengärten bestockt. 2017 wurden rund sechs Prozent der agrarischen Flächen biologisch bewirtschaftet.
Initialzündung für das Solidaritätsprojekt, das später den Namen „Bodenallianz“ erhalten sollte, war ein Vortrag zum Verlust der Artenvielfalt, dem Bürgermeister Herker beiwohnte. „Ich habe gelernt, dass naturverträgliche Landwirtschaft ein entscheidender Hebel ist“, sagt er heute, „bei Dingen, die so langsam reagieren wie Ökosysteme, kann man nicht erst agieren, wenn Schicht im Schacht ist.“ Das gelte für Biodiversität genauso wie für den Klimaschutz. Also setzte sich Herker mit Joseph Amberger in Verbindung. Er ist ehemaliger Lehrer in einer landwirtschaftlichen Berufsschule und war nebenbei Bio-Berater, kennt also die meisten der Bauern in der Region. Ihm gibt der Bürgermeister vor fünfeinhalb Jahren das Versprechen, eine Million Euro auf drei Jahre zur Verfügung zu stellen, wenn er eine entsprechende Initiative auf die Beine stellt.
Für Amberger ist schnell klar: Der Schlüssel ist der Boden. Also beruft er gemeinsam mit der Gemeinde eine Versammlung im Stadtsaal ein. „Ich gebe zu, wir hatten die Hosen voll“, erinnert er sich heute. Viele Bauern seien zunächst skeptisch geworden, was das Angebot bedeuten könnte, zumal von einem sozialdemokratischen Stadtoberhaupt angeregt. „Manche sind in der Pause gegangen, manche haben noch die Brotzeit mitgenommen“, sagt Amberger. 50 Bauernfamilien hätten den Workshop aber so wie er als Chance begriffen. Sie wollen Mitglieder in der neuen „Bodenallianz“ werden. Ein Ergebnis der Veranstaltung war auch, dass die Erarbeitung eines Konzeptes nicht von der Offizialberatung wie der Landwirtschaftskammer, sondern von Amberger selbst übernommen wird. „Das hat auch bedeutet, dass wir uns nicht hinter der Verwaltung verstecken konnten.“
Als Nachhaltigkeitsmanager der Stadt wurde Peter Stapel angestellt. Er erarbeitet gemeinsam mit Amberger die Grundlagen der Initiative. „Eigentlich hat die Gemeindeebene ja mit dem täglichen Kerngeschäft der Bauern nichts zu tun“, meint er, „in ganz Deutschland ist uns kein zweites Projekt in dieser Flughöhe bekannt.“ Gemeinsam wurde definiert, dass gesunde, fruchtbare Böden der entscheidende Faktor für das Programm werden sollen. „Wir haben tiefgründige, humusreiche Äcker. Diese Bodenfruchtbarkeit gilt es zu erhalten und auszubauen.“ Der Anteil an Öko-Flächen sollte dafür auf das Dreifache wachsen. 1.000 Hektar in biologischer Wirtschaftsweise waren das Ziel. „Im Hopfen ist das aber sehr herausfordernd“, so Stapel, „unser Angebot richtet sich deshalb explizit an alle Bauern. Auch wer nicht auf Bio umstellen will, ist willkommen.“
„Das Neue an der Bodenallianz ist, dass hier mit den Landwirten gearbeitet, nicht einfach über sie bestimmt wird“, unterstreicht Sepp Amberger. Ein 10-köpfiger Steuerungskreis übernimmt die Formulierung der Ziele und die Auswahl der Themen. Vortragende zum Thema Bodengesundheit werden eingeladen, gemeinsame Seminare abgehalten und wöchentlich Exkursionen durchgeführt. Bodenanalysen wurden bezahlt und die Bauern bei der deren Auswertung unterstützt. Im Bedarfsfall wurden auch Einzelberatungen für Betriebe organisiert. Auch Direktzahlungen werden gewährt. „Wir haben eine große Gruppe an konventionellen Landwirten wie Konvertiten zur Biofach nach Nürnberg geschleppt“, grinst Amberger. Das üppige Millionenbudget hat er bei alledem bei weitem nicht ausgeschöpft. „Es ist aber angenehm, nicht bei jeder Aktivität nachschauen zu müssen, ob sich das finanziell ausgeht.“
Heute liegt der Anteil an Bioflächen wie geplant bei mehr als 20 Prozent. Auch zwei Hopfenbauern haben sich auf den Weg gemacht, ihre Gärten ohne chemisch-synthetisches Sicherheitsnetz zu bewirtschaften. „Viele der neuen Biobäuerinnen und -bauern sagen, sie hätten nicht umgestellt, wenn sie nicht über das Programm auf Nachhaltigkeitsthemen gestoßen worden wären.“ Auf den umtriebigen Projektleiter kamen auch unerwartete Herausforderungen zu. So sammelte keine Molkerei Biomilch. Erst mit viel Verhandlungsgeschick und Hilfe des Bürgermeisters konnte die Andechser Molkerei überzeugt werden, ins Stadtgebiet zu fahren. Die letzte verblieben Brauerei Müller Bräu konnte dafür gewonnen werden, ein Biobier mit regionalen Zutaten zu lancieren. Die örtlichen Bäckereien beliefern das Volksfest mit Waren aus dem Mehl der Bodenalllianz-Bio-Bauern.
Die Bodenallianz zwischen Pfaffenhofen und den Bauern wurde bis zur kommenden Gemeinderatswahl im Jahr 2025 verlängert. Bis dahin werden neue Ideen umgesetzt. „Die Stadt hat gerade eine Treibhausgasbilanzierung gemacht. Wir verursachen in unserem Einflussbereich aktuell einen Ausstoß von 1.000 Tonnen CO2 pro Jahr“, sagt Peter Stapel, „diese wollen wir über Speicherung im Boden binden.“ Die Landwirte sollen für eine klimaschonende Bewirtschaftung Ausgleichzahlungen bekommen. Nicht zuletzt geht es auch darum, die Bürger für den Wert der Produktion vor der Haustür zu sensibilisieren. Sie sollen den Weg vom Feld bis zum Tisch begreifen und zu regionalen Erzeugnissen greifen. Stadtoberhaupt Thomas Herker: „Man kann nur begeistert sein, welche große Bereitschaft bei den Landwirten vorhanden ist. Wir haben eine Gemeinschaft formiert, die ernsthaft daran arbeitet, im eigenen Bereich zu optimieren. Das ist ein hoffnungsvoller Zustand.“
pfaffenhofen.de/bodenallianz
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