Mehr als Lippenbekenntnisse und Pseudoprogramme

Die Nationalratswahl Ende September hat mit der ÖVP und den Grünen zwei eindeutige Gewinner gebracht. Ob eine Koalition zwischen den beiden Parteien realistisch ist, haben ALOIS BURGSTALLER und STEFAN NIMMERVOLL das Grün-Urgestein Wolfgang Pirklhuber gefragt.

Blick ins Land: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir bald die erste türkis-grüne Bundesregierung der Republik erleben werden?

Pirklhuber: Wenn es nach den Vorschusslorbeeren, die schon verteilt wurden, geht, hoch. Werden die Chancen erkannt, können die Verhandlungen tatsächlich zum Erfolg führen. Wenn das Modell torpediert wird, wird es scheitern.

Die Landwirtschaft wird ein wichtiger Faktor dafür sein. Was muss in einem Regierungsabkommen unbedingt drinnen stehen, damit Sie zufrieden sind?

Die Berglandwirtschaft muss als das Rückgrat der österreichischen Identität besser unterstützt werden und die kleinen Familienbetriebe bei der Sozialversicherung entlastet werden. Außerdem müssen junge, innovative Bäuerinnen und Bauern gestärkt werden. Und die biologische Landwirtschaft darf kein Mauerblümchendasein mehr führen.

Also 100 Prozent Bio als Ziel?

Das ist nicht realistisch. Aber Bio als klares Leitbild schon. Im nächsten ÖPUL darf nicht derart gebremst werden wie bisher. Es darf keinen Förderstopp für Neueinsteiger mehr geben.

Und niedrigere Förderobergrenzen?

Wir werden nach dem Brexit eine riesige Finanzierungslücke haben. Die EU braucht Geld, auch weil sehr viel davon wieder zurückkommt. Auch wenn Werner Kogler bei der Nettozahler-Frage auf Sebastian Kurz einwirken wird, ist ein Umdenken nötig. Wir brauchen daher zum Beispiel eine Förderstaffelung nach Betriebsgrößen.

Wie kann ein Kompromiss beim Tierwohl ausschauen?

Hier müssen Investitionsförderungen dorthin gehen, wo sie hingehören.

Heißt das Förderungen nur für biotaugliche Ställe?

Ja, denn wir werden weniger Geld zur Verfügung haben, also werden wir uns sehr gut anschauen müssen, in welche Zukunftskonzepte wir investieren. Da müssen wir von einer rein betriebswirtschaftlichen Bewertung wegkommen. Es muss auch beurteilt werden, ob etwas volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Da gehört dann eben auch der Klimaschutz dazu oder ob eine solche Art der Produktion in zwanzig Jahren überhaupt noch gesellschaftlich erwünscht ist.

Die ÖVP hat sich festgelegt, dass es keine neuen Steuern geben soll. Eine CO2-Steuer, wie von den Grünen gefordert, wird also ein Reibungspunkt sein.

Eine ökologische und sozial gerechte Steuerreform heißt ja nicht, dass es mehr Steuern geben wird. Aber wir müssen die Steuern verlagern. Einige Vordenker dafür kommen übrigens auch aus der ÖVP.

Bei den Verhandlungen wird man den Türkisen aber auch etwas anbieten müssen. Wo könnten die Grünen Abstriche machen? Bei Glyphosat?

Sich an Strategien von vorvorgestern zu klammern, bringt doch nichts. Selbst die Deutschen wollen Glyphosat nicht mehr verlängern. Dass das in einem Agrarumweltprogramm nichts verloren hat, müsste auch jedem Bauernbündler klar sein. Darüber hinaus wird aber nicht jedes Projekt, nur weil es die Grünen sagen, gleich umgesetzt werden.

Wo sehen Sie Schnittmengen zwischen den Grünen und dem Bauernbund?

Beim Wunsch nach hoher Lebensmittelqualität. Die müssen wir absichern. Das bedeutet gentechnikfreie Produktion, zumindest im AMA-Gütesiegel. Weg vom Soja aus Amerika, hin zu Futtermitteln regionaler Herkunft. Oder in der Gastronomie: Da gibt es derzeit keine Verpflichtung, sich bio-zertifizieren zu lassen, weil die Wirtschaftskammer das zum Schaden der Bauern blockiert. Ähnlich bei der Herkunftskennzeichnung. Der Bauernbund hat vor der Europawahl damit geworben, geworden ist daraus nichts. Jetzt wäre es an der Zeit, das durchzuziehen und den Schritt zu wagen, gemeinsam eine nachhaltige bäuerliche Landwirtschaft abzusichern. Dafür braucht es aber mehr als nur Lippenbekenntnisse und Pseudoprogramme. Nur Etiketterln machen kann nicht das Ziel sein, sondern solide Programme, die partnerschaftlich umgesetzt werden.

Viele Bauern haben eher Angst vor einer grünen Regierungsbeteiligung. Können Sie ihnen diese Furcht nehmen?

Ja. Aus der grünen Ecke war immer Unterstützung für die Landwirtschaft da. Der Vorwurf, dass wir nur Romantiker aus dem urbanen Bereich sind, stimmt nicht. In Wirklichkeit gibt es in der Grünen Bewegung sehr viele Leute, die den Bauern nahestehen oder sogar selbst einen Hof bewirtschaften. Das ist oft unter den Tisch gekehrt worden.

Mit Olga Voglauer zieht aber nur eine einzige Bäuerin in den Nationalrat ein. Die anderen 25 Abgeordneten sind nur Konsumenten.

Landwirtschaft und Ernährungspolitik sind als hochbrisantes gesellschaftliches Thema aber eine Querschnittsmaterie, die jeden betrifft.

Daraus lässt sich schließen, dass auch linksgerichtete Strömungen innerhalb der Partei bei Agrarthemen mitreden sollen. Die haben aber vermutlich andere Ideen als der durchschnittliche Landwirt.  

Wenn Sie die Wiener Grünen ansprechen, dann muss man festhalten, dass auf deren Druck der Bioanteil in den öffentlichen Einrichtungen massiv gestiegen ist. Und schauen Sie doch auch nach Vorarlberg: Das Ökoprogramm, das Johannes Rauch dort gemeinsam mit Landeshauptmann Wallner auf den Weg gebracht hat, ist ein Erfolgsmodell. In Oberösterreich hat Rudi Anschober die Gentechnikfreiheit vorangetrieben. All das sind Zukunftskonzepte für eine grüne Landwirtschaft.

Zukunftskonzepte mit mehr Einschränkungen und Vorschriften?

Gewisse Dinge wird man tatsächlich klar regulieren müssen. Das heißt aber nicht, dass man alles normieren muss. Dafür sind wir Grüne nie gestanden, auch wenn der Bauernbund immer so getan hat, als ob zum Beispiel die Digitalisierung von Landschaftselementen auf unserem Mist gewachsen wäre.

Im EU-Wahlkampf hat Werner Kogler die Wörter „Agrarwende“ und „Agrarrevolution“ verwendet. Das klingt verdächtig nach Klassenkampf. Da hätten wir gerne eine genauere Definition.

Wir brauchen weltweit mehr Solidarität anstatt die Bauern in Afrika mit unseren Überschüssen zu überschwemmen oder unsere Bergbauern mit Mercosur-Billigfleisch aus Südamerika zu ruinieren. Auf Österreich heruntergebrochen bedeutet Agrarrevolution: Wir brauchen kein „Bauernsterben“ mehr. Statt einem – oft verharmlosten – Strukturwandel brauchen wir im Gegenteil auch Neueinsteiger, die andere Perspektiven in die Landwirtschaft einbringen.

Die Grünen haben intensiv mit Organisationen wie Greenpeace, Attac, der Via Campesina oder der IG Milch zusammengearbeitet und rekrutieren auch einen Teil ihres Personals aus dem NGO-Pool. Ist es realistisch, dass deren Vertreter in agrarischen Fragen Berater einer künftigen Bundesregierung sein könnten?

Warum nicht? Wir brauchen da mehr Gelassenheit. Setzen wir uns an einen Tisch und reden wir. Ohne Dialog mit der Gesellschaft gibt es keine Agrarzukunft. Wir müssen die Gesellschaft gemeinsam überzeugen, dass wir im 21. Jahrhundert eine starke, erfolgreiche Landwirtschaft brauchen.

Wird der Druck auf die Bauern bei einer grünen Regierungsbeteiligung geringer werden?

Nur weil die Grünen in der Regierung sind, wird aus dem scharfen Gegenwind, zum Beispiel durch die Übermacht der Supermarktketten, nicht ein laues Lüfterl werden. Die Chancen, dass wir gemeinsam gute Wege entwickeln, sind aber da.

Wie beurteilen Sie die Arbeit der ehemaligen Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger?

Als Landwirtschaftsministerin war sie – ganz ohne Bösartigkeit – kaum wahrnehmbar. So weiterwursteln wie jetzt, also einfach etwas aufs Papier schreiben und nichts tun, wird nicht mehr gehen. Egal wie der künftige Landwirtschaftsminister heißen wird.

Sarah Wiener würde zum Landwirtschaftsministerium nicht Nein sagen. Für den Bauernbund scheint das unvorstellbar zu sein.

Reizvoll mag es sein, das zeigt das grüne Outing, aber ich denke, dass die europapolitische Arbeit jetzt mindestens ebenso wichtig ist.

Politische Erfahrung ist bei vielen Grünen derzeit Mangelware. Sie hätten solche. Stehen Sie für ein Amt in einer künftigen Regierung zur Verfügung?

Das ist eher auszuschließen. Schweigen werde ich aber nicht, sondern meine Überzeugung auch künftig einbringen.

Zur Person

Der Agrarökologe Dr. DI Wolfgang Pirklhuber (58) war von 1999 bis 2017 Nationalratsabgeordneter der Grünen und auch deren Landwirtschaftssprecher. Er ist Leiter der Biokontrollstelle BIOS und Sprecher der Biokontrollstellen. Pirklhuber bewirtschaftet selbst einen kleinen Hof in Pfarrkirchen bei Bad Hall in Oberösterreich.